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Christiane Tewinckel
Bin ich normal, wenn ich mich im Konzert langweile?
Dumont Verlag, Köln 2004


„Dies ist das richtige Buch für Sie, wenn Sie Musik mögen, aber nicht ins Konzert gehen“. Das mag wohl sein, jedenfalls ist es nicht die im Untertitel angekündigte musikalische Betriebsanleitung, vielmehr eine ebenso informative wie unterhaltsame Beschreibung der vermeintlich geheimen Gesetze der Musik wie der gelegentlich unheimlichen Gesetzmäßigkeiten des Musiklebens.




Warum man im Konzert nicht essen soll, erschließt sich jedem Musikliebhaber wohl auch ohne erläuternde Hinweise. Warum dagegen Konzerte so teuer und für den Besucher gleichzeitig ausgesprochen günstig sind, erklärt die Autorin ebenso verständlich wie das Entstehen von Tönen, die Bedeutung von Noten, die Wirkung von Harmonien, die Besonderheiten von Instrumenten, die Herausforderungen für professionelle Musiker, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von klassischer und zeitgenössischer Musik und die Verzweiflung von Komponisten, die sich an strenge Regeln halten müssen oder wollen, obwohl in der Musik doch alles erlaubt ist. Viele Leser werden an den originellen Zitaten besonderes Vergnügen haben, so beispielsweise an der ideologisch verklemmten kritischen Auseinandersetzung des großen Theodor W. Adorno mit der „Legitimation von Chormusik“ (?!), anderen mag die anekdotische Beantwortung der gestellten Fragen mit Beispielen aus dem Bekanntenkreis der Autorin besonders gefallen. Gelegentlich übertreibt sie allerdings diese berüchtigte Neigung zahlloser Klavierlehrerinnen; daß z. B. „mein Freund Guido mich beim Wischen des Küchenbodens einmal gefragt hat, warum man eigentlich noch immer nicht so weit sei, beim Putzen Melodien von Schönberg zu singen“, ist wohl doch nur von begrenztem Interesse – und im übrigen unbeantwortet geblieben. Dafür gelingen der Musikwissenschaftlerin und Musikredakteurin gelegentlich kleine Kabinettstückchen in der Erläuterung komplizierter musikalischer Formen: „Drei große Teile also machen die Sonatenhauptsatzform – Exposition, Stress in der Mitte und am Ende Beruhigung“. Knapper und anschaulicher kann man das kaum formulieren und zutreffender auch nicht, zumal mit dem Hinweis versehen, das alles könne allerdings ein bißchen dauern.




Entgegen der übertriebenen Ankündigung des Klappentextes bietet das Buch nicht die „Antworten auf sämtliche Fragen zur Musik, die Sie immer schon hatten und doch nie zu stellen wagten“. Dafür beantwortet es manche Fragen, mit denen gar nicht zu rechnen war, so z. B. die ganz persönlichen nachhaltigen Musikerlebnisse und Konzerterfahrungen der Autorin. Da erkennt der Leser manches wieder und erfährt viel Neues oder vieles neu. Und zugleich entsteht die ganz unwiderstehliche Vermutung, dies sei vielleicht auch das richtige Buch für diejenigen, die regelmäßig ins Konzert gehen, auch wenn sie Musik nicht unbedingt mögen. Aber wer musikalische Betriebsanleitungen am dringendsten braucht, liest sie vermutlich am wenigsten.




August 2004


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