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Grußwort anlässlich der Verleihung des 7. Otto Brenner Preises für kritischen Journalismus
Am 22. November 2011

Sehr geehrter Herr Huber,
Meine Damen und Herren,

ich bedanke mich für die freundliche Einladung, die liebenswürdige Begrüßung und ganz besonders für die Großzügigkeit, eine Festrede anzukündigen, die Sie eigentlich gar nicht erwarten. Das macht mir den Einstieg leichter, denn die Anfrage in der damaligen Einladung, ob ich „einige medienpolitische oder medienkritische Bemerkungen“ bei der Verleihung des Otto-Brenner-Preises machen könnte, war ohne größeres Nachdenken positiv zu bescheiden – die gleichzeitige Vorstellung, das in den Rahmen einer Festrede zu bringen, ist beinahe inkompatibel. Ich bitte Sie um Nachsicht, wenn ich selber jedenfalls nicht mehr ankündigen und versprechen möchte als zwei, drei ausgewählte medienpolitische und damit notwendigerweise natürlich auch kritische Anmerkungen, die das, was man zur Rolle von Medien in einer modernen Gesellschaft und zum Verhältnis von Medien und Politik vielleicht sagen könnte und vielleicht bei anderer Gelegenheit auch sagen müsste, natürlich nicht annähernd vollständig zum Ausdruck bringen.

Ich will mich im Wesentlichen auf zwei Aspekte konzentrieren, die beide eine auch selbstkritische Betrachtungsweise lohnen. Den einen Aspekt hat Herr Huber in seiner Begrüßung bereits angesprochen, nämlich die direkten und indirekten Wirkungen, die sich aus der gründlichen Veränderung der Medienlandschaft der letzten Jahre ganz offensichtlich – und an manchen Stellen vielleicht auch nicht ganz so offensichtlich – ergeben. Und der andere Aspekt, zu dem ich ein paar Bemerkungen machen möchte, betrifft das besonders schöne, sicher delikate, ganz gewiss nicht spannungsfreie Verhältnis von Politik und Medien, auch und gerade unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses von Politikern zu Journalisten.

Die Veränderung der Medienlandschaft

Zur Veränderung der Medienlandschaft muss nicht mehr vorgetragen werden, dass sich mit der Digitalisierung von Daten und mit der Etablierung des Internets zu einem bis dahin so nicht bekannten, schon gar nicht verfügbaren Medium, die Medienlandschaft grundlegend verändert hat, und dass sich seit dieser Zeit nicht nur Proportionen im Angebot und in der Nachfrage signifikant verschoben haben und dies weiter tun werden. Diese gründlich veränderte Wettbewerbssituation zwischen verschiedenen Medien hat erhebliche Folgen nicht nur für diejenigen, die Medienangebote machen und für diejenigen, die Medienangebote nutzen, sondern auch und gerade für das Informationsniveau und das Urteilsvermögen einer Gesellschaft. Der letztere Punkt scheint mir nicht in gleicher Weise regelmäßiger Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit zu sein, weswegen ich dazu ein paar Bemerkungen machen will.

Ich beginne mit dem statistischen Hinweis, dass wir inzwischen eine Internetnutzung in Deutschland haben, die die 80-Prozent-Marke überschritten hat. Und dass von den vier Fünfteln der in diesem Land lebenden Menschen, die überhaupt das Internet nutzen, etwa 60 Prozent täglich von diesen Angeboten Gebrauch machen. Dass wir uns dabei in einer außerordentlich dynamischen Entwicklung befinden, wird auch daran deutlich, dass sich die tägliche Internet-Nutzungsdauer eines Erwachsenen in den letzten zehn Jahren von durchschnittlich 30 Minuten auf jetzt 95 Minuten pro Erwachsen und Tag mehr als verdreifacht hat. Für diesen Durchschnitt gilt das, was für jedes statistische Mittel gilt: Jedem fallen Beispiele ein, die deutlich davon abweichen. Auch wenn man berücksichtigt, dass die Internetnutzer vielleicht über eine noch ausgeprägtere Begabung zu gleichzeitiger Nutzung verschiedener Medien verfügen, gibt es irgendwo natürliche Kapazitätsgrenzen, vor allem unter dem Gesichtspunkt des ernsthaften Umgangs mit denselben, sodass sich folgerichtig mit dem Ausdehnen der Nutzung des Mediums Internet die Relationen mit Blick auf andere Medien verschoben haben. Und am meisten ausgeprägt ist die Verschiebung, die es zwischen den elektronischen Medien auf der einen Seite und den Printmedien auf der anderen Seite gegeben hat.

Informationsverhalten und Urteilsvermögen

Spannender finde ich die Frage, ob dies für das Informationsniveau und damit auch das Urteilsvermögen einer Gesellschaft wie unserer eher nachrangig oder doch eher signifikant ist. Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass diese Veränderung in der Nutzung verschiedener Medien signifikante Wirkungen für das Informationsverhalten hat – und damit tendenziell auch für das Urteilsvermögen unserer Gesellschaft. Deswegen hat es nicht nur ganz offenkundig beachtliche kommerzielle Implikationen, es hat auch erhebliche politische Implikationen, was sich im Übrigen durch das ja wiederum auffällig starke Nutzungsverhalten der jüngeren Generationen mit Blick auf die elektronischen Medien im Allgemeinen, das Internet im Besonderen, tendenziell eher verstärkt und keineswegs abbaut. Der wesentliche Unterschied, auf den ich aufmerksam machen möchte, ist die Art des Nutzerverhaltens. Wer das Internet als seine Quelle für das Beschaffen von Informationen nutzt, der hat einen prinzipiell anderen Zugang zu Informationen als beispielsweise der klassische Zeitungsleser oder Zeitschriftenleser. Der Nutzer des Internets nutzt dieses Medium, um sich Dingen zu widmen, an denen er Interesse hat. Er findet mit Stichworten eine in zunehmendem Maße gigantische Zahl von Fundstellen, die nach bestimmten, eher quantitativ für relevant gehaltenen Kriterien für ihn sortiert werden, mit denen er sein Informations- und oder Unterhaltungs-bedürfnis bedient. Um den Aspekt der Festrede mindestens im Charakter zu wahren, erspare ich uns den Hinweis, für welche Art von Informationen die Recherchen besonders häufig genutzt werden.

Der typische Leser einer Tageszeitung nutzt ein Medium in der Erwartung, mindestens in der akzeptierten Vermutung, mit Informationen konfrontiert zu werden, die andere für wichtig halten. Mir kommt es im Augenblick gar nicht darauf an, ob man das Eine für anachronistisch und das Andere für modern hält, das Eine für sympathisch und das Andere für unsympathisch. Ich will schlicht darauf hinweisen: Es ist nicht dasselbe, ob ich auf dem einen oder anderen Wege meine Informationen suche und beziehe. Ich glaube, dass es auch kein unfreundlicher Akt gegenüber dem einen oder anderen Medium ist, wenn man darauf hinweist, dass das Internet da, wo es sorgfältig ist, eher lexikalisch als analytisch ist, während umgekehrt eine Zeitung, wenn sie sorgfältig arbeitet, eher analytisch als lexikalisch ihre Nutzer erreicht. Noch einmal: Man kann das eine oder andere spannender finden – dass es nicht dasselbe ist, halte ich für offensichtlich. Deswegen ist es naheliegend, dass es Folgen für das Informationsniveau und damit tendenziell für das Urteilsvermögen einer Gesellschaft hat, ob die Art der Informationsbeschaffung ganz oder überwiegend sich durch das eine oder das andere Medium oder durch beide gleichzeitig und in welchen Relationen zueinander vollzieht.

Zu den Veränderungen, die mit dem Internet die Medienlandschaft – natürlich nicht nur in Deutschland, sondern weltweit – betreffen, gehört, dass sich damit die Wettbewerbsbedingungen im Allgemeinen einmal mehr, und zwar gründlich, verändert haben. Zu den Veränderungen gehört genauso, dass nicht mehr länger die Printmedien die Wettbewerbsbedingungen der Medienwelt bestimmen, sondern die elektronischen Medien dies tun. Was wiederum – unter vielen anderen Aspekten, die auch spannend sein mögen – zur Folge hat, dass die Präferenzen, die die elektronischen Medien gegenüber den Printmedien haben, zunehmend von dem einen auch auf das andere Medium durchschlagen.

Bild vor Text, Botschaft vor Analyse, Schlagzeile vor Sachverhalt

Weil ich ausdrücklich zu medienkritischen Anmerkungen eingeladen worden bin, will ich nun sagen, was mich als Mediennutzer besorgt, gelegentlich nervt und manchmal auch ärgert: Es gibt in meiner Wahrnehmung eine Reihe großer Trends, die wie mir scheint, mit dem Internet als Medium in einer ursächlichen Weise zusammenhängen und sich über die elektronischen Medien – und ihren naturgemäß besonders starken Verflechtungen mit dem Internet – auf die Medienlandschaft im Ganzen niederschlagen.

Da ist zum Beispiel der Trend des zunehmenden Vorrangs von Bildern gegenüber Texten. Es ist der schwer übersehbare Trend des Vorranges von knappen Botschaften gegenüber ausführlichen Analysen, von Schlagzeilen gegenüber Sachverhalten. Es gibt seit langem den Trend zur Personalisierung von allem und jedem, und richtig schön medienwirksam ist ein Thema, wenn es sich mit Personen verbinden lässt. Ohne Personalisierung fehlt ihm tatsächlich oder scheinbar die Mindestattraktivität, die mediale Verwendungsoptionen brauchen. Es gibt – in einer nach meiner Wahrnehmung auffällig gesteigerten Form in Verbindung mit dem Triumphzug des Internets quer durch die Medienlandschaft – den immer stärkeren Vorrang der Schnelligkeit gegenüber der Gründlichkeit der Informationsbeschaffung und Informationsvermittlung. Den Luxus, eine Information auf ihre Richtigkeit zu prüfen, bevor man sie potenziellen Nutzern anbietet, glauben sich immer mehr Journalisten gar nicht mehr erlauben zu können, weil die Konkurrenzbedingungen so sind, wie sie sind. Und das Ganze ist schließlich verbunden mit einer geradezu gnadenlosen Dominanz der Unterhaltung gegenüber der Information, die sich quer durch die Medienlandschaft beobachten lässt. Und sie ist natürlich im elektronischen Bereich ausgeprägter als im Printbereich. Dass sie dort nicht zu beobachten sei, scheint mir eine allerdings verharmlosende Vermutung.

Die Otto Brenner Stiftung hat neben anderen Verdiensten den lobenswerten Vorzug, sich immer wieder mit besonders relevanten Fragestellungen unserer Medienwelt auseinanderzusetzen. Und dazu gehört etwa aus diesem Jahr nicht nur die interessante Studie über Talkshows und deren Prominenz und Relevanz, sondern auch über die Entwicklung von Nachrichten im Fernsehen. Im Ergebnis dieser Studie steht die ebenso plausible wie – für mich jedenfalls erschreckende – Demonstration einer zunehmenden Entpolitisierung auch von Nachrichtensendungen. Wobei mir niemand erläutern muss, dass nicht alles, was politisch ist, eo ipso nachrichtenrelevant sein muss, und umgekehrt in Nachrichten nichts Unpolitisches vorkommen dürfe. Aber wenn man davon ausgeht, dass Nachrichten eigentlich ein klassisches Format für die Vermittlung politisch relevanter Sachverhalte sein könnten, vielleicht auch sein sollten, finde ich schon nicht unerheblich, dass nach Medienanalysen, die nicht ich angestellt habe, der mit Abstand größte Politik-Anteil in einer deutschen Fernsehnachrichtensendung bei lediglich 48 Prozent liegt. Selbst bei keinem öffentlich-rechtlichen Medium haben wir in den Nachrichtensendungen einen Politik-Anteil, der die 50%-Grenze erreichte oder gar überböte. Bei den privaten Anbietern liegt dieser Anteil bei unter 20, teilweise sogar bei unter 10 Prozent. Dass die bei der jungen Generation am stärksten gesehene Nachrichtensendung nicht mehr von öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten angeboten wird, komplettiert das Bild.

Der Vorrang der Unterhaltung

Ich halte mich natürlich nicht für einen unbefangenen oder gar neutralen Beobachter der Szene. Jeder hat seine besonderen Empfindlichkeiten, das will ich nicht bestreiten. Aber zu der immer noch nicht ganzen Wahrheit der Medienentwicklung der letzten Jahre gehört, dass aufgrund des Wettbewerbs auch und gerade öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalten sich aus den besonderen Verpflichtungen, die sich aus ihrer Gebührenfinanzierung ergeben, weitgehend zurückgezogen haben. Oder aber entsprechende Angebote in Nischenprogramme outgesourct haben, um die Hauptprogramme für den Wettbewerb freizubekommen, denen man sich unter den gegebenen Bedingungen unserer Mediengesellschaft stellen zu müssen glaubt.

Heute, am 22. November 2011, ist es auf den Tag genau sechs Jahre her, dass mit Angela Merkel die erste Frau in das Amt der Bundeskanzlerin gewählt wurde. Wiederum heute auf den Tag genau vor 21 Jahren trat die erste britische Premierministerin von diesem Amt zurück. Und vor 48 Jahren, 1963, wurde John F. Kennedy in Dallas ermordet. Alles herausragende Politikereignisse, die natürlich auch und gerade die Medien begleitet und verfolgt haben. Mit einem vergleichbaren Ereignis kann und will die Politik heute sicher nicht dienen. Aber heute Morgen hat beispielsweise im Deutschen Bundestag die Debatte über die Frage stattgefunden: Wie geht eigentlich dieses Land in Gestalt seiner verantwortlichen politischen Institutionen mit dieser ebenso unglaublichen wie unerträglichen Serie von Mordanschlägen einer neonazistischen Bande um? Natürlich hat, wie in der Regel, Phoenix Bundestagsdebatten im Programm. Bei ARD und ZDF findet „business as usual“ statt: „Rote Rosen“, Folge 1.152, war heute morgen in der ARD zu sehen, während sich der Deutsche Bundestag mit einem Thema beschäftigt, das nun wiederum nach der überwiegenden Mehrheit der deutschen Medienprominenz eigentlich das zentrale Thema dieser Republik sein müsste. Das ZDF brachte „Volle Kanne“ und lässt sich auch nicht weiter irritieren. Und so setzt diese Gesellschaft in Gestalt ihrer Medien die Prioritäten, die sie für richtig hält. Um nicht missverstanden zu werden: Ich halte ausdrücklich an dem Prinzip fest, dass über die Relevanz auch und gerade von Nachrichten nicht die Politik zu entscheiden hat. Aber ich erlaube mir den Hinweis, dass man sich nicht über das politische Bewusstsein einer Gesellschaft beklagen soll, wenn man selber als Medienvertreter die Prioritäten so setzt und der Unterhaltung einen gnadenlosen Vorrang gegenüber allem und jedem gewährt.

Mir ist zugegebenermaßen auch erst vor ein paar Jahren die Weisheit eines schlichten Satzes von Neil Postman aus seinem 1986 erschienenen und damals viel zitierten Bestseller „Wir amüsieren uns zu Tode“ so richtig zu Bewusstsein gekommen: „Das Problem des Fernsehens ist nicht, dass es zu viel Unterhaltung bringt. Das Problem des Fernsehens ist, das es aus allem und jedem Unterhaltung macht.“ Die Talkshows sind für mich gewissermaßen die Anwendung dieses Prinzips auf alles und jedes, beispielsweise auf die Politik. Und ich widerstehe jetzt tapfer der Versuchung, meine ohnehin hinreichend bekannte „Begeisterung“ für dieses bekannte Format einmal mehr in ganzer Pracht und Schönheit auszubreiten. Ich begnüge mich mit einem einzigen, wiederum statistischen Befund. Die vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland im Hauptprogramm im Jahr übertragenen Bundestagsdebatten machten addiert im vergangenen Jahr 28 Stunden aus. Das ist etwa eine halbe Stunde pro Woche. Die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen pro Woche angebotenen Talkshows machen 22 Stunden aus, über das Vierzigfache, zusammen 1.000 Stunden im Jahr. Noch einmal: Dürfen die das? Ja, die dürfen das! Für eine Errungenschaft halte ich das aber nicht. Zumal ja jeder seine eigenen Beobachtungen machen kann, im Übrigen auch machen muss, welche Aussichten durch diese Formate für die Erläuterung, Vermittlung gerade auch zunehmend komplexer Sachverhalte gegeben sind.

Das Verhältnis von Politikern und Journalisten

Aufgrund des begrenzten Zeitrahmens beschränke ich mich auf einige wenige Bemerkungen zum Verhältnis von Politikern und Journalisten: Dass dieses ein ganz besonderes ist, muss nicht erläutert werden. Dass diese beiden Berufe eine Reihe von erkennbaren Unterschieden aufweisen, ist auch im Einzelnen nicht erläuterungsbedürftig. Dass es auf der anderen Seite auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten gibt, sollte mindestens nicht unterschlagen werden. Das gilt beispielsweise mit Blick auf das jeweils relativ ausgeprägte Selbstbewusstsein. Weder bei meinen Kolleginnen und Kollegen in der Politik, noch bei den Journalisten, treffe ich regelmäßig auf ausgeprägte Minderwertigkeitskomplexe. Beide scheinen mir gelegentlich, die Politiker wie die Journalisten, von der Versuchung geplagt, sich für eine besondere Kategorie der Menschheit zu halten, denen Dinge, die für den Rest der Menschheit gelten, eigentlich nicht zugemutet werden dürfen. Und zu den Gemeinsamkeiten gehört auch, dass sie beide interessanterweise einen relativ hohen Einfluss und beide einen relativ schlechten Ruf haben. Beides ist grob ungerecht, wie sich versteht – das muss ich nicht erläutern. Mein größter Trost, wenn ich diese konstant gleich deprimierenden Reputationsskalen lese, besteht darin, dass noch hinter Journalisten und Politikern, inzwischen nicht nur Banker rangieren, was ich ja fast verstehe, sondern auch Buchhändler, was ich völlig unbegreiflich finde. Und da ich mir das überhaupt nur mit einem frei schwebenden Ressentiment erklären kann, neige ich dazu, die ganze Untersuchung für offenkundig unseriös zu halten, um mit auf diesem Wege gestärkten Selbstbewusstsein den übertragenen Aufgaben weiter nachzukommen.

Ich möchte Sie jedoch gerne auf einen interessanten Befund aufmerksam machen, den ich in einer Studie von Hans Matthias Kepplinger vor einiger Zeit gefunden habe, in der er dieses natürlich spannungsreiche Verhältnis zwischen Politikern und Journalisten untersucht. Er kommt dabei unter anderem zu dem Ergebnis, dass fast die Hälfte der Journalisten beklagt, es sei kaum noch möglich, etwas über die Ziele von Politikern zu erfahren, während fast die Hälfte der Politiker findet, es werde regelmäßig falsch berichtet. Dabei gehen fast 80 Prozent der befragten Journalisten und Politiker davon aus, dass die jeweils andere Gruppe ohnehin nur eigene Interessen verfolgt. Politiker verfolgen persönliche Interessen und Parteiinteressen, Journalisten hätten nur Auflage und Quote im Blick. Die Hälfte der Politiker meint, Journalisten sei jedes Mittel recht. 48 Prozent der Journalisten, also wiederum fast präzise die gleiche Größenordnung, hingegen halten Politiker für skrupellos. Nun ist das sicherlich, meine Damen und Herren, nicht frei erfunden; es scheint durchaus möglich, dafür jeweils Anhaltspunkte im wirklichen Leben zu finden. Ich halte den Befund in seiner Verallgemeinerung dennoch für falsch, mindestens für stark übertrieben, denn ich kenne eine Reihe von Journalisten, denen zur Informationsbeschaffung und Informationsvermittlung nicht jedes Mittel recht ist. Und vielleicht kennt der eine oder andere von Ihnen einzelne Politiker, die er nicht für skrupellos hält. Es könnte nicht schaden, wenn das gelegentlich auch deutlich würde. Das wäre umso begrüßenswerter, als dass das Bewusstsein der Öffentlichkeit im Umgang mit Sachverhalten durch die Wahrnehmung der Wirklichkeit geprägt ist, die sich – ich neige fast zu sagen – immer weniger empirisch durch eigene Erfahrung, sondern immer häufiger und immer exklusiver über Medien vollzieht. Umso mehr macht es Sinn, sich immer wieder – im doppelten Wortsinn – um einen kritischen Journalismus zu bemühen. Einen auch selbstkritischen Journalismus zu bemühen, der in dem, was Gegenstand des täglichen Geschäfts ist, auch die eigene Rolle reflektiert. Und der die Wirkungen, die mit dem, was man vermittelt – oder eben nicht vermittelt – und der Art und Weise, in der man es vermittelt, zum Gegenstand des eigenen beruflichen Ethos macht. Deshalb verbinde ich meinen herzlichen Dank für die freundliche Einladung mit einer ebenso herzlichen Gratulation an die Preisträger, die nachher dafür gepriesen werden, dass sie solchen Ansprüchen mindestens einmal in auffälliger Weise genügt haben und verbinde damit die leise Hoffnung, dass es mit und ohne Preise dauerhaft so bleibt.


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