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Festrede zum 150. Jubiläum der Düsseldorfer Symphoniker
Düsseldorf, 7. Februar 2014


„Neulich kam ich nach Hause, da standen auf dem Schreibtisch zwei Stühle, der Ofenschirm lag unter dem Klavier, im Bette lagen ein Paar Stiefel und Kamm und Bürste ... So sah es oder so sieht es aber genau im Düsseldorfer Musikwesen aus, und ehe da Ordnung wieder hineinkommt, kostet’s Hitze.“
Felix Mendelssohn Bartholdy


2014 ist das Jahr der großen historischen Gedenktage:
• 25 Jahre Fall der Berliner Mauer
• 75 Jahre Ausbruch des Zweiten Weltkrieges
• 100 Jahre Beginn des Ersten Weltkrieges

Vor 150 Jahren, 1864, als die Düsseldorfer Symphoniker gegründet wurden, fand der Deutsch-Dänische Krieg statt mit der legendären Erstürmung der Düppeler Schanzen; es war der erste der sogenannten „Reichseinigungskriege“ – fünfzig Jahre, bevor das mit der späten Gründung eines Deutschen Nationalstaates errichtete Kaiserreich im Ersten Weltkrieg seinen eigenen Untergang einläutete.

Das stolze Jubiläum des traditionsreichen Orchesters der heutigen nordrhein- westfälischen Landeshauptstadt ist nicht nur ein hinreichender Grund zum Feiern, sondern auch ein geeigneter Anlass zur kritischen und selbstkritischen Aufarbeitung der eigenen Orchestergeschichte als Teil einer städtischen und staatlichen Kulturgeschichte. Deshalb verdient die Souveränität der Intendanz und künstlerischen Leitung besondere Anerkennung, die Jubiläumsspielzeit ganz unter das Leitthema „Musik der Diktatur“ bzw. „Musik in Zeiten der Diktatur“ zu stellen. Tatsächlich wird nicht nur am Düsseldorfer Beispiel deutlich, dass und wie schamlos die Musik immer wieder für politische Zwecke im wörtlichen und übertragenen Sinne des Wortes „instrumentalisiert“ worden ist – keineswegs nur in autoritären Systemen, aber besonders brutal, kulturfremd und sinnwidrig in Zeiten der Diktatur.

Von allen Künsten, sollte man meinen, eignet sich die Musik am wenigsten für ideologische Zwecke. In der Zeit des Nationalsozialismus fiel dem Düsseldorfer Orchester neben den Berliner Philharmonikern und dem Brucknerorchester Linz die zweifelhafte Ehre der Aufgabe eines Reichsorchesters zu, das für die Uraufführung von linientreuen Kompositionen zuständig war. Düsseldorf wurde damals zur „Reichsmusikhauptstadt“ erkoren. Die Stadt selbst lobte 1935 einen Preis für „arteigene“ Kompositionen „im nationalsozialistischen, weltanschaulich gebundenen“ Sinne aus. Auch das Orchester stellte sich unter der Leitung eines regimekonformen Generalmusikdirektors in den Dienst nicht der etwa der neuen Musik, sondern einer neuen Ideologie. Nach der Bücherverbrennung schon im Mai 1933, der Diffamierung zeitgenössischer moderner Kunst in der berüchtigten Ausstellung über „Entartete Kunst“ 1937 wurde anlässlich der Reichsmusiktage 1938 auch eine Ausstellung zur „Entarteten Musik“ präsentiert. Der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels verkündete damals in seiner Rede die „unverrückbare Grundanschauung“, dass die deutsche Musik dem deutschen Volkstum entspringe, nicht aber dem Judentum. Der NS-Ideologe Alfred Rosenberg verstieg sich zu der ebenso unmissverständlichen wie grotesken Vermutung: „Die deutsche Nation ist eben drauf und dran, endlich einmal ihren Lebensstil zu finden. Es ist der Stil einer marschierenden Kolonne, ganz gleich, wo und zu welchem Zweck diese marschierende Kolonne auch eingesetzt sein mag.“


Mit solchen ebenso unsinnigen wie kunstfeindlichen Parolen konnten sich die nationalsozialistischen Propagandisten allerdings auf künstlerische Autoritäten wie Richard Wagner berufen, der in einer der peinlichsten Verirrungen eines bedeutenden Künstlers auf das Feld der Ideologie, des Antisemitismus und des Rassenwahns in seiner 1850 veröffentlichten Schrift „Das Judentum in der Musik“ über den wenige Jahre zuvor jung verstorbenen Felix Mendelssohn geurteilt hatte: „Dieser hat uns gezeigt, daß ein Jude von reichster spezifischer Talentfülle sein, die feinste und mannigfaltigste Bildung, das gesteigertste, zartestempfindende Ehrgefühl besitzen kann, ohne durch die Hilfe aller dieser Vorzüge es je ermöglichsten zu können, auch nur ein einziges Mal die tiefe, Herz und Seele ergreifende Wirkung auf uns hervorzubringen, welche wir von der Kunst erwarten ...“ Allein die Ouvertüre zum „Sommernachtstraum“ des 17jährigen Felix Mendelssohn widerlegt diese peinliche Entgleisung als ästhetisch abwegige offensichtliche Diffamierung.

Fast zeitgleich hatte Robert Schumann über seinen berühmten Zeitgenossen Felix Mendelssohn bemerkt: „Er ist der Mozart des 19. Jahrhunderts, der hellste Musiker, der die Widersprüche der Zeit am klarsten durchschaut und zuerst versöhnt.“ Dies wiederum hätte man von Wagner schwerlich behaupten können.

Die Düsseldorfer Symphoniker sind eines der ältesten und traditionsreichen deutschen Orchester, eines von mehr als 130 professionellen Symphonieorchestern, die wir in Deutschland haben, mehr als in jedem anderen Land der Welt, einige davon mit überragender nationaler und internationaler Bedeutung. Wir haben uns längst daran gewöhnt, diesen Zustand für eine Selbstverständlichkeit zu halten, den Musikfreunde in aller Welt mit einer Mischung aus Bewunderung und Neid betrachten. Die vielgerühmte deutsche „Orchesterlandschaft“ ist über Jahrhunderte gewachsen, eine außergewöhnliche und besonders liebenswürdige Folge der Kleinstaaterei und des auch kulturellen Repräsentationsehrgeizes rivalisierender Fürstenhäuser, die zusammen mit einem später erstarkenden selbstbewussten bürgerschaftlichen Engagements zur Grundlage einer stolzen Tradition des kulturpolitischen Engagements öffentlicher Hände geworden ist, insbesondere der Kommunen und der Länder, zunehmend auch des Bundes. An dieser ebenso beispiellosen wie beispielhaften Tradition sollten wir mit aller Kraft festhalten, zumal sich in anderen Ländern innerhalb und außerhalb Europas nicht nur besichtigen lässt, dass es auch andere Traditionen gibt, sondern welche praktischen Folgen das Selbstverständnis von Kunst- und Kulturförderung als private, nicht aber als öffentliche Aufgabe hat.

Streng betrachtet gibt es nur wenige Einrichtungen, die so nutzlos sind wie Sinfonieorchester: ihre unmittelbare Wirkung ist, wenn überhaupt messbar, auf eine jeweils knappe Zeitspanne begrenzt. Im Unterschied zu Literatur und bildender Kunst kann man ihre Produkte weder in Bücherregale stellen noch an Wänden aufhängen. Allerdings gibt es Tonkonserven als Schallplatten oder Compact Discs in immer größeren Mengen. Was immer in den Konzertsälen in aller Welt angeboten wird, liegt mit wenigen Ausnahmen längst als Einspielung berühmter Orchester und Solisten vor, und je populärer das Werk, desto größer ist die Anzahl der verfügbaren Tonträger. Unter diesen Bedingungen muss ein Konzertprogramm heute mehr leisten als den zunehmend aussichtslosen Wettbewerb mit den technisch perfekten Einspielungen anderer oder gar desselben Orchesters; vielmehr muss es nicht nur Angebote schaffen für Werke weniger bekannter Komponisten, sondern vor allem auch neue Zugänge zu bekannten Werken eröffnen durch ungewohnte Konfrontationen von Altem und Neuem, Vertrautem und Verborgenem. Ganz streng betrachtet legitimieren nur originelle Programme in erstklassiger Aufführung den hohen Aufwand öffentlich finanzierter Klangkörper – so wie heute Abend, an dem wir eine bemerkenswerte Anordnung von zwei romantischen Violinkonzerten mit einer symphonischen Dichtung aus dem 20. Jahrhundert erleben: Schumanns lange Zeit unbekanntes und bis heute im Konzertrepertoire eher vernachlässigtes Violinkonzert, das lange nach seinem Tod erst in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts uraufgeführt wurde und nach dem Willen der Nationalsozialisten das von ihnen verbotene vielleicht populärste aller Violinkonzerte von Felix Mendelssohn Bartholdy ersetzen sollte und dafür ausgerechnet von Paul Hindemith überarbeitet worden war, der wegen fehlender Linientreue selbst verboten war ...

Konzerte sind auch deshalb meist beliebter als Vortragsveranstaltungen, Parteitage oder Gewerkschaftskongresse, weil bei dieser Gelegenheit nicht geredet, sondern musiziert wird. Ich rede heute Abend unmittelbar vor einem Konzert gewissermaßen wider besseres Wissen und schließe deshalb mit einer Bemerkung, noch einmal von Felix Mendelssohn Bartholdy, die geradezu als Widmung für den heute nach ihm benannten großen Saal der Düsseldorfer Tonhalle gelten könnte: „Es wird so viel über Musik gesprochen, und so wenig gesagt – ich glaube, die Worte überhaupt reichen nicht hin dazu, und fände ich, dass sie hinreichten, so würde ich am Ende keine Musik mehr machen.“


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