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Weniger Hoheit, mehr Kultur
Länder im Bund: Plädoyer für einen kooperativen Föderalismus - Der Tagesspiegel vom 10. März 2002

Weniger Hoheit, mehr Kultur

Länder im Bund: Plädoyer für einen kooperativen Föderalismus

Von Norbert Lammert

Der deutsche Kulturföderalismus ist als Prinzip ebenso unbestritten, wie er in seiner Praxis schwierig ist. Die Debatte über die Gründung einer Bundeskulturstiftung ist dafür ein aufschlussreiches Beispiel. Dabei werden im Kompetenzstreit von Bund und Ländern demonstrative Gestaltungsansprüche und verletzte Eitelkeiten derzeit mit mehr Nachdruck artikuliert als die Bereitschaft zur Förderung von Kunst und Kultur.

Es überrascht wenig, dass die kleineren Bundesländer wegen der Aussicht auf zusätzliche Bundesmittel eher bereit sind, prinzipielle Bedenken gegen Aktivitäten des Bundes zurückzustellen als die finanzstarken Flächenländer. Diese haben sich zunächst mit dem Anspruch einer klaren Trennung der Aufgabenbereiche durchgesetzt. Neben der Beschränkung der Kulturstiftung des Bundes auf dessen originäre Aufgaben im Bereich der Auswärtigen Kulturpolitik sowie der Hauptstadtkultur (!) haben sie außerdem auch das prinzipielle Interesse an der Entflechtung von Aufgaben des Bunds und der Länder reklamiert.

Unter diesen Bedingungen wird der Anspruch des Bundes auf Gründung einer eigenen Kulturstiftung zu einem doppelten Pyrrhussieg. Der Bund erhält zunächst nur einen neuen Fördertopf, und die Länder brechen ohne Not eine Grundsatzdebatte über die Mitwirkung des Bundes an der Wahrnehmung von Länderaufgaben vom Zaun, deren Verlierer bedeutende Kultureinrichtungen außerhalb Berlins werden könnten.

Die Spekulationen über die Zukunft der Stiftung Preußischer Kulturbesitz bestätigen die schlimmsten Befürchtungen. Der Präsident der Stiftung, Klaus-Dieter Lehmann, stellt diese zu Recht als Zukunftsmodell dar, das die vielstrapazierte Kulturhoheit der Länder keineswegs gefährdet, sondern sie auch und gerade bei der kulturellen Gestaltung der deutschen Hauptstadt zur Geltung bringt. Gleichzeitig stellt ausgerechnet der neugewählte Senat dieser Hauptstadt die eigene Mitwirkung in Frage. Dass aber das preußische Kulturerbe nicht nur von den Nachfolgeländern Preußens, sondern als gemeinsames Erbe vom Bund und allen seinen Ländern wahrgenommen wird, ist Ausdruck der wiedervereinigten Kulturnation und ihres gewachsenen Kulturföderalismus.

In den letzten Jahren hat der Bund immer mehr finanzielle Verpflichtungen Berlins übernommen. Er trägt inzwischen rund 80 Prozent aller Aufwendungen der Preußen-Stiftung. Trotz dieser einseitigen Finanzierungslast des Bundes können wichtige Beschlüsse nicht gegen die Mehrheit der Länder gefasst werden. Dies ist keineswegs selbstverständlich und ganz gewiss kein Ruhmesblatt für die mit Nachdruck reklamierte kulturpolitische Kompetenz der Länder. Im Gegenteil: Die kontinuierliche Ausdünnung des finanziellen Engagements der Länder ist beinahe eine Selbstabdankung, jedenfalls eine Konterkarierung ihres "Alleinvertretungsanspruchs" in der Kulturpolitik.

Ein Kulturföderalismus, der sich ernst nimmt, kann jedenfalls nicht darin bestehen, dass der Bund die Mittel und die Länder die Gremienmitglieder stellen. So eindrucksvoll ihr eigenes kulturpolitisches Engagement ist - in der Wahrnehmung nationaler Aufgaben der Kunst- und Kulturförderung sind sie für den Bund weder eine ernsthafte Konkurrenz, noch gibt es eine überzeugende Kooperation.

Natürlich muss ein Rückzug Berlins aus der Preußen-Stiftung als Einladung an die übrigen Länder wirken, dem schlechten Beispiel zu folgen und ihrerseits dem Bund die exklusive Verantwortung für das Paradestück des deutschen Kulturföderalismus zuzuschieben. Da die Finanzlage des Bundes sich von der der Länder und Kommunen kaum unterscheidet, könnte dieser einer solchen Aufgabe nur bei Verringerung seiner Mitfinanzierungen an anderer Stelle nachkommen - ob in Weimar oder Bayreuth. Bund und Länder hätten dann jeweils ihre Ansprüche durchgesetzt, und auch der "Entflechtung" wäre Rechnung getragen. Nur die Kultur bliebe auf der Strecke.

Laut Verfassung ist Kultur eine Gemein-schaftsaufgabe von Bund, Land und Kommunen. Der Streit um die vermeintliche "Kulturhoheit" ist deshalb doppelt absurd. Zum einen haben die Kommunen über Jahrzehnte hinweg knapp die Hälfte der öffentlichen Kulturausgaben finanziert, fast genau so viel wie Bund und Länder zusammen. Zum anderen lässt sich das Verhältnis der Politik zur Kultur kaum missverständlicher ausdrücken als mit dem Begriff der "Hoheit". Allen Verantwortlichen sollte bewusst sein, dass die Kultur in Deutschland nicht einen Kompetenzstreit, sondern ihr gemeinsames Engagement verdient.

Nur wenn Bund und Länder die Wahrung und Pflege nationalen Kulturerbes, die Darstellung des Kulturstaates Deutschland im In - und Ausland und die Förderung herausragender Ereignisse und Entwick-lungen der aktuellen Kulturszene als Gemeinschaftsaufgabe begreifen und dafür zusätzliche Mittel mobilisieren, wird der föderal verfasste Kulturstaat Deutschland seinem Anspruch gerecht. Ansonsten lohnt nicht einmal die aufgeregte Debatte.


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