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Mehr Deutsch in der deutschen Sprache - Bitte keine Minderwertigkeitskomplexe
Gastbeitrag von Dr. Norbert Lammert im Nachrichtenmagazin FOCUS vom 23. April 2001
Mehr Deutsch in der deutschen Sprache - Bitte keine Minderwertigkeitskomplexe
von Dr. Norbert Lammert
Die inzwischen beachtliche öffentliche Diskussion zur Überfrachtung der deutschen Sprache vor allem durch Anglizismen und einem vor allem der Werbung entstammenden Jargon ist nicht vom Himmel gefallen. Sie ist die verständliche und überfällige Reaktion auf eine Entwicklung, die immer mehr Menschen mit einer Mischung aus Amüsement und Verärgerung verfolgen. Wenn jeder Treffpunkt zum "meeting-point", jedes Büro zum "office" aufgeblasen und jede Auskunft zum "operator" in einem "call-center" verwiesen wird, leidet nicht nur die Allgemeinverständlichkeit, sondern vor allem die Ernsthaftigkeit im Umgang mit der eigenen Sprache. Jedenfalls ist der offensichtlich unwiderstehliche Hang, Produkte und Dienstleistungen vorzugsweise mit anglo-amerikanischer Terminologie auszustatten oder anzureichern, kein Nachweis für Modernität, auch wenn es so wirken soll. Denn diese Anleihen, ohne Not und Nachdenken übernommen, sind eher ein Indiz für Hilflosigkeit als für selbstbewusste Weltläufigkeit, und sie klingen schlicht albern.
Dass die Literatur nicht die Werbung prägt, ist nicht zu beanstanden. Umgekehrt muss die Werbesprache nicht unbedingt die Umgangssprache dominieren. Meistens unnötig ist die zunehmende Verwendung größtenteils auch in der britischen Umgangssprache nie ("Handy"!) oder selten gehörter englischer Begriffe vor allem in gutachterlichen Bemühungen von Unternehmensberatungen, die deren Erzeugnissen den Anschein besonderer Seriosität geben sollen. An was es mangelt, ist nicht eine Sprachpolizei, sondern die Kritikfähigkeit im Umgang mit Texten, und die Zivilcourage, sich gegen offenbaren Unsinn zur Wehr zu setzen, auch wenn die Urheber jenseits jeder Kritik zu stehen scheinen.
Sprachen sind lebende Organismen, sie leben auch von der Begegnung mit anderen Sprachen und von ihrer wechselseitigen Beeinflussung. Preußen hat unter der Vorliebe des bedeutendsten Königs für die französische Sprache nicht gelitten, und die Einflüsse der staatlich geförderten Zuwanderung auch auf die sprachliche Verständigung der damaligen "Untertanen" haben zur Entwicklung einer selbstbewussten Bürgerschaft durchaus beigetragen.
Der Staat hat nur begrenzt Einfluss auf sprachliche Entwicklungen in der Gesellschaft, aber immerhin kann er Fehlentwicklungen mindestens begrenzen. So lange Lehrpläne an deutschen Schulen als "Curricula" verkauft werden, können Deutschlands Kultusminister allerdings schwerlich in den entschlossenen Kampf zur Erhaltung der deutschen Sprache ziehen. Statt die deutsche Sprache als Wissenschaftssprache für klinisch tot zu erklären, könnte der amtierende Staatsminister für Kultur und Medien als Beauftragter der Bundesregierung dieses Thema auf die "Agenda", besser: die Tagesordnung der Kulturpolitik setzen und damit zur notwendigen Sensibilität für dieses Thema nicht nur auf Bundes- und Länderebene beitragen.
Ganz offensichtlich empfinden viele Betroffene einen Handlungsbedarf, den manche - einem vertrauten Reflex folgend - in der Gesetzgebung ansiedeln. Denn nach deutscher Denkgewohnheit gilt ein Problem nur dann als gelöst, wenn es per Gesetz geregelt ist. Die Forderung nach einem deutschen Gesetz zum Schutz der Sprache liegt somit gewissermaßen in der Luft. Sprache eignet sich aber für gesetzliche Regelungen besonders wenig. Und wer die quälende Debatte und die umstrittenen Ergebnisse der Rechtschreibreform nicht völlig verdrängt hat, wird von einem Gesetz unter besonderer Berücksichtigung der komplizierten Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nicht viel Gutes erwarten dürfen.
"Slow motion" statt hektischem Aktionismus möchte man empfehlen. Zur Pflege und Weiterentwicklung der deutschen Sprache ist weniger staatliche Autorität gefragt als vielmehr das Selbstbewusstsein einer zivilen Gesellschaft, die in der eigenen Sprache ein alles andere als zufälliges, beliebiges, sondern vielmehr ein grundlegendes Element ihres Selbstverständnisses und ihrer Verständigung versteht, das sie nicht "outzusourcen" bereit ist an unseriöse Zwischenhändler.
Das soeben begonnene "Europäische Jahr der Sprachen" mag ein willkommener Anlass sein, die Sprache neu zu entdecken - ob als Mittel, sich die Welt schöpferisch anzueignen oder als Instrument der Integration, ob als Kommunikations- oder als Kunstform. Ich plädiere für weniger Aufregung und mehr Gelassenheit, weniger Minderwertigkeitskomplexe und mehr Selbstbewusstsein, weniger Gesetze und mehr Kultur - nicht nur im "Feuilleton"!
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