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Sven Felix Kellerhoff
Der Reichstagsbrand. Die Karriere eines Kriminalfalles be.bra Verlag, Berlin 2008
„Ob es mit dem vorliegenden Buch gelingen wird, den nunmehr 75jährigen Streit über die Entstehung des Reichstagsbrands zu beenden, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen“, schreibt Hans Mommsen im Vorwort zu dieser Neuerscheinung. Tatsächlich sind zum Thema Reichstagsbrand bereits mehrere Dutzend Bücher erschienen, weit über hundert wissenschaftliche Aufsätze und viele tausend Zeitungsartikel. Die neue Publikation von Sven Felix Kellerhoff dokumentiert nicht nur die „Karriere eines Kriminalfalles“, wie der Untertitel ankündigt, sondern zugleich auch die Karriere eines Politikums, das nicht nur zum Zeitpunkt der Ereignisse selbst, sondern über Jahrzehnte hinweg Öffentlichkeit wie Wissenschaft beschäftigt. Kellerhoff fasst die Abläufe und Befunde, die politischen Folgen und die Prozesse in einer kompakten, gut lesbaren und schlüssigen Schilderung zusammen.
Der Brand des Reichstages, der mehr als jedes andere Gebäude Symbol eines politischen Systems war, das von politischen Extremisten mit fanatischem Eifer bekämpft wurde, musste gerade den politisch aufgeklärten und engagierten Zeitgenossen des Jahres 1933 sofort als Fanal erscheinen. Kurz nach der Übernahme der Kanzlerschaft durch Adolf Hitler und wenige Tage vor der Reichstagswahl, in einer emotional aufgepeitschten Stimmung, traute man den Nationalsozialisten eine solche politische Inszenierung jedenfalls zu. Victor Klemperer notierte damals in seinem Tagebuch: „Acht Tage vor der Wahl die plumpe Sache des Reichstagsbrandes – ich kann mir nicht denken, dass irgend jemand wirklich an kommunistische Täter glaubt statt an bezahlte Hakenkreuz-Arbeit.“ Auch der langjährige Reichtagspräsident Paul Löbe glaubte an die Täterschaft der Nationalsozialisten. In seinen Erinnerungen schreibt er: „Ich traf den vertrauten Bau äußerlich wenig verändert an. … Beim Betreten des Hauses stellte ich fest, dass der Feuerherd planmäßig auf den Sitzungssaal begrenzt war. Die kostbare Bibliothek mit 300.000 Bänden, die Archive und die Druckerei, die Zimmer des Präsidenten, die Büroräume der Verwaltung, die Fraktionszimmer und kleineren Säle, der Umgang um den Sitzungssaal, alles war unversehrt. Dafür bot allerdings der Sitzungssaal selbst ein Bild vollständiger Zerstörung. Hier lag alles verbrannt in wüsten Haufen umher, … Bücher, Akten, Stenogramme, Papiere, Drucksachen – das war unbeschädigt erhalten. Die sichtbare Abgrenzung des Zerstörten vom Erhaltenen war das erste Symptom, das, auffällig und doch unerklärlich, mein Misstrauen hervorrief. Die zweite Merkwürdigkeit war die vollzählige Anwesenheit des nationalsozialistischen Führungskorps in Berlin und am Brandherd. … Keine halbe Stunde nach Ausbruch des Brandes fand sich die ganze Gesellschaft am Ort des Verbrechens ein. Ein höchst sonderbarer Zufall.“
Die naheliegende Vermutung einer aktiven Beteiligung der Nationalsozialisten, die durch den spektakulären Prozess gegen Marinus van der Lubbe erwartungsgemäß nicht ausgeräumt werden konnte, hat sich in bemerkenswerter Weise verselbstständigt – gegen die Indizienlage, gegen die verfügbaren Gerichtsakten. Auch nach 1945 zweifelte zunächst niemand an der Täterschaft der Nationalsozialisten. Erst der Amateurhistoriker Fritz Tobias kratzte am damaligen Konsens. Er las die Akten genau, recherchierte, rekonstruierte Abläufe und kam zum Ergebnis, dass die Brandstiftung des Reichstages kein Komplott der Nationalsozialisten gewesen ist, sondern die Tat eines Einzelnen. Marinus van der Lubbe sagte die Wahrheit, als er während des Prozesses gestand: „Zu der Frage, ob ich die Tat allein ausgeführt habe, erkläre ich, dass dies der Fall gewesen ist. Es hat mir niemand bei der Tat geholfen.“
Tobias’ Ausführungen waren eine Sensation – und wurden auf das Heftigste angefeindet, insbesondere auch von renommierten Historikern, die sich in ihrem Urteilsvermögen herausgefordert fühlten. Man warf ihm vor, er wolle Hitler und die Nationalsozialisten „reinwaschen“. Der Streit währte Jahrzehnte und schlug abenteuerliche Kapriolen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung war lange geprägt von Voreingenommenheit. Diffamierung trat an die Stelle methodisch sauberer Geschichtswissenschaft. Sogar mit gefälschten Dokumenten sollte die These vom perfiden Brandstiftungscoup der Nationalsozialisten aufrechterhalten werden, so dass der Politikwissenschaftler Peter Haungs 1987 ebenso ungläubig wie genervt fragte: „Was ist mit den deutschen Historikern los? Oder: Ist Quellen-Fälschung ein Kavaliersdelikt?“ Heute wird von den Historikern an der Alleintäterschaft van der Lubbes kaum mehr gezweifelt. Für Hans Mommsen besteht „der eigentlich und bis heute noch immer nicht hinreichend wahrgenommene Skandal im Versagen der Fachwissenschaft in Deutschland.“
Ob dieses Buch einen hochpolitischen Streit beendet, bleibt in der Tat abzuwarten. Dass es einen wichtigen Beitrag dazu leistet, scheint dagegen sicher.
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