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Christina M. Stahl
Was die Mode streng geteilt? Beethovens Neunte während der deutschen Teilung.
Schott, Mainz 2009


Es kommt nicht allzu häufig vor, dass man ein und dasselbe Buch sowohl Musikliebhabern wie Politik-Interessierten empfehlen kann. Die Studie von Christina Stahl zur politischen Instrumentalisierung von Beethovens neunter Symphonie in Zeiten der deutschen Teilung gehört zu diesen seltenen Lesetipps.


Das Buch ist die gekürzte Fassung einer Dissertation, die der These nachgeht, „dass Musik in der deutsch-deutschen Fehde instrumentalisiert, also zu einer Waffe im Kalten Krieg wurde“. Diese Vermutung liegt bei kaum einer anderen Komposition der jüngeren Musikgeschichte näher als bei dieser letzten Beethoven–Symphonie mit dem großen Chorsatz über Schillers „Ode an die Freude“, deren hymnische Beschwörungen einer weltumspannenden Brüderlichkeit sich für politische Zwecke in besonderer Weise eignet. Dies verdeutlicht die Autorin mit zahlreichen, oft verblüffenden, teilweise skurrilen Belegen für den Zeitraum zwischen der Gründung der beiden deutschen Staaten nach dem zweiten Weltkrieg 1949 und dem Jahr des Falls des Berliner Mauer 1989. Die demonstrative politische Inanspruchnahme eines musikalischen Kunstwerkes hat freilich weder in dieser Zeit begonnen noch ist sie damit ein für allemal überwunden. Mehr als andere Komponisten ist Beethoven zumal mit dieser Komposition von Monarchien, Demokratien und Diktaturen zu den verschiedenartigsten Anlässen der staatlichen Repräsentation, der ideologischen Demonstration wie der banalen Vermarktung funktionalisiert worden.


Beethovens Neunte Symphonie erklang zum Beispiel in der Sowjetunion nach der Annahme der Stalinschen Verfassung im Großen Theater zu Moskau 1936, auf dem Vereinigungsparteitag von KPD und SPD als Weichenstellung zur Gründung der DDR 1949, der Europarat feierte im April 1959 seinen zehnten Jahrestag mit der „Neunten“ und die Europäische Union machte den Anfang des berühmten Schlusschores 1972 zur offiziellen Hymne – nachdem sie als vorübergehende inoffizielle Hymne gemeinsamer deutscher Olympiamannschaften wieder freigeworden war. Sie wurde „sozusagen Kronzeugin beim Eintritt in ein neues Zeitalter“ (Stahl) oder was man jeweils dafür hielt. Auch der Festakt zum „Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes“ am Vorabend des 3. Oktober 1990 wurde allzu folgerichtig mit Beethovens „Neunter“ begangen.


Nach empirischen Erhebungen der Autorin lassen sich zwischen 1949 und 1989 insgesamt mindestens 849 Aufführungen dieser Symphonie in beiden Teilen Deutschlands nachweisen, davon bemerkenswerterweise in der DDR deutlich mehr als in der Bundesrepublik (478 zu 371). Tatsächlich weist die Autorin einen expliziten Alleinvertretungsanspruch der DDR auf das geistig-künstlerische Erbe dieses Komponisten und dieses Werkes nach, ganz besonders in Verbindung mit Jahrestagen seines Geburtstages oder Todesjahres, ebenso wie die bescheidenen Erfolge der „marxistisch-leninistischen Musikwissenschaft“, in vielfältiger Weise „beim Aufbau des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik mitzuhelfen“ und wo immer nötig „das sozialistische Weltbild der Musiker zu festigen“.


Die von Christina Stahl recherchierten und dokumentierten Festreden, Aufrufe, Programmhefte und Rezensionen machen die Lektüre nicht nur informativ, sondern auch unterhaltsam; manche Texte, gegen die Beethoven sich leider nicht wehren konnte, haben – jedenfalls mit dem inzwischen erreichten zeitlichen wie politischen Abstand - einen überwältigend satirischen Charakter.


Amüsant ist das Buch dennoch nicht. Manches schallende Lachen bleibt einem im Halse stecken. Die ständige Versuchung, Kunst für politische oder auch ökonomische Zwecke zu nutzen und zu missbrauchen, findet in Beethovens Neunter Symphonie ein besonders deprimierendes Beispiel. Dabei findet die besondere Wirkung wie die besondere Nutzung ihre Ursache allein im vierten Satz, der wohl eben sowenig als Höhepunkt seines kompositorischen Schaffens gelten muss wie die dort vertonte „Ode an die Freude“ als literarisches Meisterwerk. Hätte Ludwig van Beethoven seinerseits der Versuchung widerstanden, das eine mit dem anderen zu verbinden, hätte er sich und vielen Liebhabern der Musik wie der Politik manches erspart. Allerdings wäre dann auch dieses Buch nie geschrieben worden, was wiederum schade wäre…


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