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Manfred Dierks
Adolf Muschg: Lebensrettende Phantasie. Ein biographisches Porträt C.H.Beck, München 2014
Lebensrettende Phantasien gibt es vermutlich nicht, allenfalls in der Literatur oder im Film. Adolf Muschg gehört jedenfalls zu den Autoren mit einer außergewöhnlichen Phantasie, die sich über Jahrzehnte hinweg in zahlreichen Romanen und Erzählungen niedergeschlagen hat.
Rechtzeitig zum achtzigsten Geburtstag von Adolf Muschg hat Manfred Dierks ein biographisches Porträt seines berühmten Kollegen vorgelegt, das ihn in seiner Vielseitigkeit als renommierten Wissenschaftler, hochdekorierten Schriftsteller und engagierten Staatsbürger präsentiert.
Tatsächlich ist Muschg auf allen drei Bühnen ungewöhnlich präsent: als bedeutendster Autor unter den Literaturwissenschaftlern, als bekanntester Wissenschaftler unter den Schriftstellern und als prominente intellektuelle Stimme im öffentlichen Diskurs über Politik und Kultur.
Manfred Dierks beschreibt wichtige Stationen seines Lebens und der damit verbundenen Zeitgeschichte als "Familienroman" im wörtlichen wie übertragenen Wortsinn und verdeutlicht dabei die überragende Bedeutung, die Herkunft und familiäre Umgebung von der Kindheit bis ins hohe Alter für den großen Geschichtenerzähler hatten. Der alte, bornierte Vater und der berühmte Halbbruder Walter mit ihrer erdrückenden Autorität wie die junge Mutter mit ihrer fast obsessiven Liebe zum einzigen Kind prägen nicht nur die Biographie, sondern seine literarischen Arbeiten: "Hier schreibt nicht der Professor für deutsche Literatur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule, sondern der Schriftsteller, der über sich ins Klare kommen will" (Max Frisch).
Auch wer Muschg kennt und seine "irreparable Bereitschaft, schöne Sätze zu bilden", viele seiner Bücher gelesen hat, von seiner Phantasie überrumpelt und gelegentlich überfordert, von seiner Begeisterung für Europa und die Schweiz und die gelegentliche Verzweiflung über beide in gleicher Weise beeindruckt, von seiner Liberalität weniger verblüfft als von seiner Hartnäckigkeit, der Freude am Widerspruch und der Ambivalenz des Lebens, erfährt in diesem facettenreichen, nur selten spekulativen Porträt manches, was er nicht wissen konnte, aber zum Verständnis des Menschen und Künstlers beiträgt.
"Das Kunstwerk spricht nicht nur mit der Ambivalenz, es besteht aus ihr" (Adolf Muschg). Wie das richtige Leben.
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