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Rede zum Pressempfang und zur Verleihung des Medienpreises Politik
Am 27. Februar 2013 in Berlin

Guten Abend meine Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Nominierte und Preisträger des heutigen Abends!

Ich begrüße Sie alle miteinander herzlich zum traditionellen Medienempfang des Deutschen Bundestages mit der Verleihung des Medienpreises des Bundestages. Ich freue mich über die große Resonanz, die unsere Einladung auch in diesem Jahr wieder hat. Besonders gut gefällt mir, dass diesmal – relativ zu der Zahl der verschickten Einladungen – die Beteiligung der Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag ähnlich stark ist wie bei den eingeladenen Vertretern der Medien. Das trägt ganz gewiss dazu bei, den Zweck der Veranstaltung zu sichern und zu fördern, den wir über die Preisverleihung hinaus ja ausdrücklich gemeinsam verfolgen: nämlich ohne sonstigen förmlichen Anlass Gelegenheit für ganz informelle, folgenlose Gespräche zu bieten.

Der diesjährige Medienempfang und die diesjährige Preisverleihung finden an einem denkwürdigen Datum in einem denkwürdigen Gebäude statt. Heute auf den Tag genau vor 80 Jahren war der Reichstagsbrand, der uns heute – im Rückblick auf die dann folgenden Ereignisse – noch mehr als den damaligen Zeitgenossen als Fanal erscheint. So, als ob damals nicht nur ein Parlamentsgebäude, sondern eine Demokratie in Brand gesteckt worden wäre. Jedenfalls bleibt die diabolische Präzision bemerkenswert, mit der die erst seit wenigen Tagen im Amt befindlichen Nationalsozialisten noch in der gleichen Nacht tausende Oppositionelle verhaften ließen, insbesondere Kommunisten und Sozialdemokraten, schon am nächsten Tag in einer „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat“ die wesentlichen Grundrechte und damit die Substanz der Weimarer Verfassung außer Kraft setzten und dann insgesamt weniger als ein halbes Jahr brauchten, um die erste deutsche Demokratie zu liquidieren.

Um dieses Ereignis, gerade wegen seines spektakulären Erscheinungsbildes, ranken sich bis heute manche Spekulationen, auch einige Mythen. Die meisten von Ihnen werden verstehen, dass ich die sicher gut gemeinte Anregung nicht aufgreifen werde, den verbleibenden Streit unter den Historikern durch eine Bundestagskommission klären und am Ende womöglich über verschiedene Lösungsalternativen per Mehrheit entscheiden zu wollen. Nach meinem Verständnis ist dieser Reichstagsbrand eines der nicht wenigen Beispiele für bedeutende historische Ereignisse, deren Wirkungen mit den Ursachen oder gar den Motiven derjenigen, die daran ganz unmittelbar beteiligt waren, in keinem oder nur in einem sehr losen Zusammenhang stehen. Aus dem, was sich dieser oder jener als Motiv bei der Herbeiführung einer Entscheidung oder eines Ereignisses gedacht oder zurecht gelegt hat, folgen nicht notwendigerweise die damit beabsichtigten Wirkungen – und umgekehrt. Jedenfalls haben wir Anlass, nicht nur heute, sondern auch in den nächsten Wochen, an einige der Daten zu erinnern, die Markierungen gesetzt haben im Niederbrennen einer deutschen Demokratie.

Der heutige 27. Februar ist aber auch ein Jahrestag eines weit weniger spektakulären, gleichwohl bedeutenden, parlamentarischen Ereignisses. Auf den Tag genau vor 58 Jahren, am 27. Februar 1955, hat der Deutsche Bundestag in einer denkwürdigen Debatte mit einer Gesamtdebattenzeit von nahezu 50 Stunden die Pariser Verträge abschließend beraten und entschieden, mit denen im Ergebnis das Besatzungsstatut aufgehoben und die Souveränität des westdeutschen Teilstaates wieder hergestellt wurde. Wie viel davon im deutschen Fernsehen übertragen worden ist, will ich jetzt nicht weiter thematisieren. Es war jedenfalls mit und ohne diesen besonderen Aspekt in vielerlei Hinsicht ein denkwürdiger Vorgang, zumal die Schlussberatung und Schlussabstimmung an einem Sonntag stattgefunden haben, was wir uns heute auch nur schwerlich – selbst bei vergleichbar bedeutenden Ereignissen – vorstellen können. Ich weise auf dieses Datum auch deswegen hin, weil es zu den vielen beachtlichen, bedeutenden, parlamentarischen Ereignissen der Nachkriegsgeschichte gehört, die natürlich und glücklicherweise ordentlich dokumentiert sind, bis heute aber „nur“ in Papierform in Bibliotheken nachzulesen waren. Wir haben heute – pünktlich zum diesjährigen Medienempfang – alle Protokolle und Drucksachen des Deutschen Bundestages seit 1949 online ins Netz gestellt; nach einem gewaltigen Digitalisierungsprozess, bei dem in den vergangen zwei Jahren 75.000 Dokumente mit 1,25 Millionen Seiten zu digitalisieren waren. Damit haben wir die Lücke bis zur achten Legislaturperiode geschlossen, von der ab wir bereits online über diese Daten verfügten. Ich bin sicher, dass nicht nur die anwesenden Repräsentanten der Medien froh sein werden, dass es nun einen sehr leichten, praktikablen Zugang zu diesen Protokollen und Drucksachen gibt, die nicht nur dann aufgefunden werden können, wenn man die Drucksachennummer kennt, sondern auch dann, wenn man nach Stichworten sucht oder gar nach einzelnen Zitaten aus einzelnen Debatten. Es gibt ja legendäre Zwischenrufe aus der Gründungsphase der Republik, deren genaue Fundstelle man nun auf diesem Wege schnell und verlässlich ermitteln kann.

Der Brand des Reichstages heute vor 80 Jahren hatte – wenn überhaupt – den nicht ganz unbeachtlichen „Kollateralnutzen“, dass dieses Gebäude für die Zeit des Nationalsozialismus nicht mehr zur Verfügung stand. Es wurde auch nicht mehr gebraucht, unabhängig von den Brandschäden. Ich persönlich habe wenig Zweifel daran, dass es die schnelle und breite Mehrheit sonst wohl nicht gegeben hätte – die es im Deutschen Bundestag nach der sehr knappen Entscheidung für den Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin gab – hier, genau hier und nur hier den Sitz eines frei gewählten, demokratischen Parlamentes eines wiedervereinigten Deutschland einzurichten. Im Unterschied zur ersten deutschen Demokratie ist der zweite Versuch offenkundig besser gelungen, jedenfalls deutlich stabiler. Wir haben jetzt mehr als 60 Jahre hinter uns, davon schon wieder 20 Jahre nach Wiederherstellung der Einheit unseres Landes. Dabei ist mindestens so auffällig, denke ich, was nach dem Umzug von Bonn nach Berlin, nach Wiederherstellung der Einheit eines geteilten Landes unverändert geblieben ist, so wie auf der anderen Seite es sicher eine Reihe von bemerkenswerten Weiterentwicklungen, auch Veränderungen gegeben hat, die im Laufe einer so langen Zeit nicht wirklich überraschen können.

„Berlin-Mitte ist zu einer Bühne von Politik und Medien geworden, die von der Lebenswirklichkeit der Bürger weiter entfernt ist als das legendäre Raumschiff Bonn. […] Berlin-Mitte ist das Zentrum des politikverdrossenen Deutschland. Politiker und Medien beleuchten und beklatschen sich auf dieser Bühne gegenseitig, als Darsteller, Publikum und Kritiker. Von den Bürgern werden sie als eine selbstbezogene Kaste wahrgenommen, die in einem Boot sitzt, durch eine gleichartige Lebensweise verbunden, auf der sicheren Seite und jenseits der Risiken, die sie in Ausübung ihrer öffentlichen Macht den Bürgern zumuten.“

Weder diese Beobachtung noch diese Formulierungen sind von mir. Sie sind von Tissy Bruns, die in ihrem vor wenigen Jahren erschienenen Buch „Republik der Wichtigtuer“ eine, wie ich finde, besonders bemerkenswerte Bestandsaufnahme des unter nahezu jedem Gesichtspunkt ganz besonderen Verhältnisses von Politik und Medien vorgenommen und insbesondere mit den Berliner Verhältnissen gespiegelt hat. Vor genau einer Woche ist sie gestorben, nach einer langen, schweren Krankheit. Tissy Bruns gehörte zu den Journalistinnen, die über eine bemerkenswerte Biographie und eine eindrucksvolle berufliche Laufbahn verfügen und die, wenn mich mein Eindruck nicht täuscht, auf beiden Seiten, bei den journalistischen Kolleginnen und Kollegen, wie bei den Politikern ein gleich hohes Ansehen genossen hat. In einem der zahlreichen Nachrufe wurde sie beschrieben als „eine sensible Chronistin für das Verhältnis von Politik und Journalismus, eine Mahnerin vor der Gefahr einer Entpolitisierung durch Inszenierung und Oberflächlichkeit auf beiden Seiten“. Das ist fast wie in die Verleihung eines Medienpreises hineingesprochen, auch wenn wir alle den Anlass bedauern, der heute Gelegenheit und Notwendigkeit bietet, an sie zu erinnern. Tissy Bruns hat der Jury über Jahre angehört, die über die Vergabe dieses Medienpreises entscheidet. Ich möchte ihr stellvertretend für viele, die sie gekannt und geschätzt haben, unseren Respekt und unseren großen Dank für ihr Engagement zum Ausdruck bringen.

Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag vergibt seinen Medienpreis seit 20 Jahren. 1993 ist er zum ersten Mal vergeben worden, er wird heute aber erst zum 14. Mal vergeben. Das erklärt sich dadurch, dass dieser Preis nicht in jedem Jahr vergeben worden ist. Peter Limburg wird gleich für die Jury nicht nur die Nominierungen erläutern und den Preisträger publik machen, sondern er wird sicher auch etwas zur Bewerberlage sagen. Uns – als Auslobern dieses Preises – gefällt, dass sich das Interesse auf einem hohen Niveau stabilisiert, was ich jetzt sowohl quantitativ wie qualitativ meine, einschließlich einer interessanten Verteilung auf die verschiedenen Medien, die sich nicht in einem statistischen Gleichgewicht befindet, aber deutlich macht, dass es – sowohl aus der Perspektive des Parlaments und seinem Interesse an Öffentlichkeit wie aus der Perspektive der Medien selbst mit Blick auf diesen Adressaten Parlament – ein ausgeprägtes, wechselseitiges Interesse gibt. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich bei den Damen und Herren der Jury herzlich zu bedanken. Das sind alles Leute, die auch ohne diese kleine, nicht genehmigungsbedürftige Nebentätigkeit gut beschäftigt sind und die sich durch die Bereitschaft, diese Aufgabe für uns zu übernehmen, einer nicht unbeachtlichen, zusätzlichen zeitlichen Inanspruchnahme unterziehen. Also ganz herzlichen Dank, verbunden mit der Hoffnung, dass Sie uns mit diesem Engagement erhalten bleiben und damit auch durch diese Tätigkeit zu dieser lebendigen, aber gleichzeitig auch geordneten, distanzierten Verbindung zwischen Politik und Medien beitragen.

Meine Schlussbemerkung ist noch mal ein Zitat von Tissy Bruns, die über den Preis in ihrem Buch geschrieben hat, den die Eigendynamik von Märkten, auch und gerade von Medienmärkten nach sich zieht: „Wenn der Preis nicht reflektiert wird, den die Anpassung der Politik an die Medienlogik verlangt, wird sie alle Akteure entwerten, die sich in Parteien, Institutionen, Regierungen, Parlamenten und in den Medien selbst mit Politik befassen.“ Der Deutsche Bundestag hat seinen Medienpreis insbesondere deswegen ausgelobt, weil wir die intensive, kritische – auch selbstkritische – Befassung mit diesem Parlament, seinen Ansprüchen, natürlich auch und gerade seinen Defiziten, ausdrücklich für notwendig halten und fördern wollen. Deswegen gilt mein Dank all denjenigen, die sich am diesjährigen Verfahren beteiligt haben und Ihnen danke ich noch mal für Ihr Interesse und Ihr Kommen heute Abend.


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