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Richard Wagner. Kosmopolit und Genie
Beitrag für die Süddeutsche Zeitung vom 22. Mai 2013
Über kaum einen deutschen Komponisten wird so viel diskutiert wie über Richard Wagner. Dabei ist er gar nicht so einfach zu fassen. Ein nicht gehaltener Festvortrag zum 200. Geburtstag.
Er ist unausstehlich, denn er ist absolut unbegreiflich“, soll Richard Wagner einmal über William Shakespeare gesagt haben. Es würde auf ihn nicht weniger passen: unbegreiflich, unerschöpflich, manchmal unausstehlich. Was war und ist er eigentlich? Sachse, Deutscher, Euro¬päer, Kosmopolit, Künstler, Musiker, Dramatiker, Dirigent, Intendant, Komödiant, Querulant, Spekulant, Exilant, Revolutionär, Reaktionär, Egozentriker, Exzentriker, Genie: von allem etwas, nichts davon ganz oder ausschließlich. Über Richard Wagner lässt sich offensichtlich nur in Superlativen reden. Selbst das Gewöhnliche ist bei ihm außergewöhn¬lich, genial oder geschmacklos, exzellent oder ekelhaft, brillant oder brutal, unsagbar oder unsäglich. Bei ihm geht es nicht schlicht um Musik oder um Kunst, sondern um absolute Musik, Leitmotive, Gesamtkunst¬werke, Bühnenweihfestspiele.
Im Unterschied zu meiner Frau, die schon in ganz jungen Jahren für Wagner geschwärmt hat, als ich als Pennäler schon gerne Konzerte besuchte, die Oper aber noch für eine hypertrophe, exaltierte, gelegentlich hysterische Kunstforum gehalten habe, die mir in den satirischen Kurz¬fassungen Loriots eher einleuchten wollte als in den länglichen Original¬fassungen, war mein Verhältnis zu Wagner eher unterkühlt als überschäumend. Mich hat Mark Twain neugierig gemacht mit seiner ihm zugeschriebenen Bemerkung, die Musik Richard Wagners sei wesentlich besser, als sie sich anhört. Das wiederum ist nicht so gehässig, wie es sich anhört. Jeder Musikwissenschaftler wird bestätigen, dass Wagners Musik eine kaum zu überschätzende Bedeutung für die Musikgeschichte hat, die sich mit der Auflösung der seit Jahrhunderten vertrauten Tonalität ohne ihn kaum so entwickelt hätte. Das lässt sich nicht von vielen Komponisten behaupten.
Wagner ist auf dem Weg in den Olymp weder von Dämonen noch von Feen begleitet gewesen
1813 ist das Geburtsjahr bedeutender Dramatiker, zu denen neben Richard Wagner und Giuseppe Verdi auch Friedrich Hebbel und Georg Büchner gehören. Dieser in mancherlei Hinsicht bemerkenswerte Jahrgang eint die Erfahrungen dramatischer Veränderungen von Krieg, Revolution und Restauration, nicht zuletzt auch die Prägung durch den aufkommenden nationalen Gedanken einschließlich seiner gefähr¬lichen und verhängnisvollen Übertreibungen. Verdi und Wagner haben das Selbstverständnis des nationalstaatlichen Europa in ihrem Musiktheater begriffen und befördert. „Niemand hat diesem doppelgesichtigen Charakter der Epoche so exemplarisch Ausdruck gegeben wie Richard Wagner“, schreibt Joachim Fest in seinem Essay über den Komponisten: „Die ganze Zukunftsgläubigkeit der Epoche, aber auch ihre Untergangsstimmungen, ihr Re- aktionärswesen und die Neigung zur revolutionär beflügelten Weltzertrümmerei, bürgerliches Ethos und bourgeoise Gewöhnlichkeit, altmeisterlicher Ernst und wilde Projektenmacherei, Ressentiment und große Freiheit des Urteils: Es war alles in ihm.“ „Wagner war ganz Politik“, urteilte damals er Musikkritiker Eduard Hanslick, was nicht ganz falsch, aber zumindest stark über¬trieben war. Richard Wagner ist auf seinem Weg in den musikalischen Olymp weder von Dämonen noch immer von Feen begleitet gewesen. Der notwendige, jedenfalls zulässige Versuch, ihn politisch wie musikalisch in die Geschichte seiner Zeit einzuordnen, ist nicht ganz einfach und schon gar nicht immer willkommen als der damalige Bundes¬präsident Walter Scheel 1976 also im denkwürdigen Jahr des Hundert-Ringes mit der spektakulären Neuinszenierung Patrice Chéreau in seiner Festrede einen solchen Versuch unternahm, was das Publikum eher irritiert als beeindruckt.
In der Nachlese des Spiegel zu diesem 100. Geburtstag der Beyreuther Festspiele berichtet Hans Mayer: „Als Kontrastprogramm war es wohl angelegt. Zuerst die Jubiläumsfeier nach altdeutscher Art, dann der Ring des Nibelungen als französischer Schocker. Am Anfang der Jubel, dann die Entrüstung. Es kam ganz anders.“ Genauer gesagt: Es war eher umgekehrt. Auslöser der Enttäuschung empörter Wagnerianer war die Absage des Bundespräsidenten an den Mythos, die gleichberechtigte Einordnung Wagners in eine Reihe anderer bekannter Komponisten seiner Zeit: Richard Wagner ist einer von ihnen, nicht das geistige Zentrum der Welt. Erst wenn wir Wagner aus den Wolken herunterholen und als großen Tonkünstler unter seinesgleichen stellen, erst dann haben wir ihn mit der Demokratie versöhnt.“
Nun: Die Kunst ist nicht mit der Politik zu „versöhnen“ – und die Musik schon gar nicht mit der Demokratie. So weit Künstler dieser Versuchung zum Opfer fallen, sollten Politiker ihr umso tapferer widerstehen, zumal die Neigung zum Größenwahn in der Kunst nicht selten, oft sehr innovativ, jedenfalls erlaubt ist. In der Politik da- gegen nicht. Zu Richard Wagner gibt es im Übrigen nicht nur viele politische Kommentare, kluge wie dümmliche, sondern auch eine parlamentarische Befassung, die sich gerade erst zum 100. Mal jährte und an die ich im Wagner-Jahr 2013 deshalb gerne erinnere: Richard Wagner hatte „Parsifal“ bekanntlich für Bayreuth reserviert, um „dieses letzte und heiligste meiner Werke vor dem ... Schicksale einer gemeinen Opern- Karriere (zu) bewahren“. Nur in Bayreuth dürfe – so schrieb Wagner an König Ludwig II. – der „Parsifal“ in aller Zukunft ein- zig und allein aufgeführt werden; nie soll der „Parsifal“ auf irgendeinem anderen Theater dem Publikum zum Amüsement dargeboten werden“. Allerdings konnte das Veto des Meisters seine Wirkung maxi- mal bis zum Ablauf der Schutzrechte (damals 30 Jahre nach dem Tod des Urhebers) entfalten. Als dieser Zeitpunkt bedrohlich näher rückte, stellte der Abgeordnete Reinhard Mumm am 28. November 1912 deshalb im Reichstag in Berlin folgende Frage an die Reichsregierung: „Ist dem Herrn Reichskanzler bekannt, dass nach den gesetzlichen Bestimmungen das Bühnenweihefestspiel ,Parsifal‘ demnächst schutzfrei wird und dass weite Kreise unseres Volkes für eine reichsdeutsche Gesetzesbestimmung sowie für eine internationale Konvention eintreten, um ungeeignete Darstellungen dieses Festspieles zu Erwerbszwecken unmöglich zumachen?“
In der 76. Sitzung des Reichstags am 3. Dezember 1912 antwortete Staatssekretär Dr. Lisco im Namen der Reichsregierung es sei dem Reichskanzler durchaus bekannt, „dass von verschiedenen Seiten eine Erweiterung des Schutzes . . . über die nach dem geltenden Rechte bestehenden Grenzen hinaus angestrebt wird“. Gemeint war damit Cosima Wagner, die – unterstützt von einer frühen Form einer Bürgerinitiative – alle Hebel in Bewegung zu setzen wusste, um Bayreuth das Aufführungsprivileg für den „Parsifal“ zu sichern. Die Petition an Kaiser Wilhelm II. zählte nicht weniger als 18 000 Unterzeichner, unter ihnen so prominente wie Eugen d’Albert, Lovis Corinth, Max Reger, Richard Strauß und Hugo von Hofmannsthal. Allerdings führte Dr. Lisco im Namen der Reichsregierung dann aus: „Zu der Frage, ob Maßnahmen des Reichs im Sinne dieser Bestrebungen angezeigt und erfolg- versprechend sind, haben die verbündeten Regierungen bisher keine Stellung genommen.“An dieser Stelle vermerkt das Protokoll übrigens „Bravo!“ und „Heiterkeit“.
Eine weitere Befassung des Reichstags mit diesem musikalischen Politikum ist nicht überliefert, und es kam auch zu keiner Lex Cosima. Die Opernhäuser konnten es ohnehin kaum abwarten, schon am
13. April 1913 gab es die erste Aufführung in Zürich, weil in der Schweiz eine kürzere Schutzfrist galt. Und pünktlich am 1. Januar 1914 – die 30-Jahre-Frist war mit dem Silvestertag 1913 abgelaufen – folgten zeit- gleich Inszenierungen in Berlin, Bologna, Bremen, Breslau, Budapest, Kiel, Prag und Rom. Am schnellsten war man allerdings in Barcelona, wo sich noch in der Neujahrsnacht, exakt eine Minute nach Ablauf der Schutzrechte, der Vorhang hob. Damit war „Parsifal“ endgültig vom Monopol des Grünen Hügels befreit – oder ist „erlöst“ hier vielleicht der passendere Begriff? Nach meinem Kenntnisstand ist „Parsifal“ bis- lang die einzige Oper, die es geschafft hat, in Deutschland zum Gegenstand einer Parlamentsdebatte zu werden. Auch in dieser Hinsicht ist „Parsifal“ ein echter Solitär.
Der Weltbürger Wagner ist den deutschen Sagen und Mythen allzu deutlich verbunden
Ist Wagner Deutscher? Ganz sicher. Gehört Wagner den Deutschen? Ganz sicher nicht. So wenig wie Aristoteles den Griechen gehört, Michelangelo den Italienern oder Shakespeare den Briten. Er gehört allen, die ihn mögen oder auch nicht, verstehen können oder wollen weil er als Musiker über eine Sprache verfügt, die sich durch Hören erschließt, wenn man nur will. „Ich bin der deutscheste Mensch, ich bin der deutsche Geist“, schreibt Wagner in sein Tagebuch am 11. September 1865. Wieder ein Superlativ, sowohl die erste wie die zweite Hälfte dieses Satzes sind maßlos übertrieben. Aber tatsächlich ist der Weltbürger Wagner in den Stoffen seiner musikalischen Dichtungen den deutschen Sagen und Mythen, Vorstellungen und Gewohnheiten allzu deutlich verbunden. Auch die besondere Begabung dieses Komponistinnen, Normen und Regeln zum Gegenstand seiner Opern zu machen und sie dabei nicht nur zu thematisieren, sondern zu überschreiten und außer Kraft zu setzen, ist von italienischen, spanischen, französischen oder britischen Komponisten schon gar seiner Zeit nicht in gleicher Weise zu erwarten.
„Wären Tristan und Isolde italienischer Herkunft, hätten sie am Ende des zweiten Aktes sicher sieben Kinder. Aber sie sind Deutsche, also diskutieren sie noch“, soll der italienische Dirigent Arturo Toscanini gesagt haben. Tristan und Isolde sind bekanntlich keine Deutschen, weder die eine noch der andere, aber man hält sie für – und deshalb diskutieren wir auch weiter, immer wieder, nicht nur in Bayreuth.
Quelle: Süddeutsche Zeitung, 22.5.2013
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