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Viel Glanz, wenig Gloria
Der deutsche Film steht im Schatten von Hollywood. Es fehlt nicht an Geld, sondern an Fantasie - Der Tagesspiegel vom 07. Februar 2002

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Viel Glanz, wenig Gloria

Der deutsche Film steht im Schatten von Hollywood. Es fehlt nicht an Geld, sondern an Fantasie/ Von Norbert Lammert


Mit den 52. Internationalen Filmfestspielen Berlin, die gestern Abend auf dem Potsdamer Platz begannen, tritt der Bund nach 2001 zum zweiten Mal als Gastgeber des wichtigsten Filmfestivals in der Bundesrepublik auf. Deutlich sichtbar wurde dies für alle Fernsehzuschauer, als sich am Mittwoch Abend Bundeskanzler Gerhard Schröder nach dem Eröffnungsfilm "Heaven" mit Erfolgsregisseur Tom Tykwer und der Hauptdarstellerin Cate Blanchett ein medienwirksames Stelldichein gab. Bedeutende Regisseure und Schauspieler gewissermaßen unter sich.

Die Berlinale steht in diesem Jahr neben vielen cineastischen Premieren ganz im Zeichen eines personellen Neuanfangs: Dieter Kosslick ist als neuer Direktor zum ersten Mal für die künstlerische Leitung und den reibungslosen Ablauf des Festivals verantwortlich. Die Erwartungshaltung an den neuen Berlinale-Chef ist natürlich groß: Man erhofft sich neue Impulse für das Festival, neue Perspektiven für den deutschen Film, am liebsten dazu auch nach und nach die Umwandlung der bisher hollywoodlastigen Kinoveranstaltung in ein Forum für den deutschen Kinofilm.

Als eine seiner ersten Initiativen hat Kosslick die Sektion .Perspektive Deutsches Kino" ins Leben gerufen, die mit immerhin elf Kinofilmproduktionen dem internationalen Publikum die aktuellen cineastischen Entwicklungen in Deutschland präsentieren soll. Außerdem laufen in diesem Jahr vier deutsche Filme im Wettbewerb, der Königsdisziplin des Festivals. Darüber hinaus hat der ehemalige Geschäftsführer der Filmstiftung NRW auch die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Sektionen, insbesondere zwischen dem Wettbewerb und dem Forum des jungen Films, auf eine neue Grundlage gestellt Die Voraussetzungen sind also gut, die deutsche Filmwirtschaft und das Publikum dürfen nun auf die Ergebnisse gespannt sein.

Die Produzenten sowie die Besucher können mit dem vergangenen Jahr durchaus zufrieden sein. Neun Filme, an denen deutsche Produzenten beteiligt waren, zogen jeweils mehr als eine Million Zuschauer an. Die Filmförderungsanstalt geht von einer Besucherzahl von mehr als 175 Millionen Zuschauern aus. Das wären mindestens 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Ein Blick zurück zeigt, wie deutlich dieser Sprung ausfällt: Im abgelaufenen Jahr stiegen die Besucherzahlen so stark wie in den Jahren 1993 bis 2000 zusammen.

Aber eine Schwalbe macht noch lange keinen Sommer und ein noch so großer Schuh (des Manitu) reicht nicht für ein perfektes Outfit: Der Marktanteil des deutschen Kinofilms schwankte in seinem Heimatland in den letzten sieben Jahren zwischen 9,5 Prozent (1995, 1998), 14 Prozent (1999) und 16 Prozent (1996,2001) bis 17,3 Prozent (1997). Im Vergleich zum Anteil von französischen Filmen in Frankreich von rund 40 Prozent, nehmen sich die deutschen Einspielergebnisse bescheiden aus.

Kommt die Diskussion auf die Situation des deutschen Films so wie sie ist, erklingt prompt und reflexartig seit nunmehr rund 30 Jahren der einhellige Chor von Filmförderungen, Produzenten und anderen Filmschaffenden mit der Forderung nach mehr Geld. Die gestrige Konferenz einer Lobbyorganisation für den deutschen Film findet unter dem schlichten Motto ,Mehr Geld für den deutschen Film!" statt. Tatsächlich fehlt es dem deutschen Film weniger an Geld als an Fantasie und einer effizienten Organisation der Filmförderung, die neben der notwendigen Übernahme hoher Risiken auch die Erfolgsbeteiligung bei Kassenschlagern durch entsprechende Rückflüsse in das Fördersystem sicherstellt. Dies ist bislang bestenfalls "nachrangig", wenn überhaupt der Fall.

Mit der Obernahme der Internationalen Filmfestspiele Berlin in die Verantwortung des Bundes unterstreicht die Bundesregierung zwar ihr Interesse an Berliner Einrichtungen, die möglichst viel repräsentativen Glanz und möglichst wenig Risiken mit sich bringen. Eine Stärkung des deutschen Films ist damit alleine noch nicht verbunden. Das kürzlich vorgelegte "Filmpolitische Konzept" liefert endlich konkrete Vorschläge für die Entwicklung einer international leistungsfähigen Filmwirtschaft in Deutschland. In diesem Papier fordert Staatsminister Nida-Rümelin zum einen ”die Aufwertung des deutschen Films als Kulturgut". Zum anderen schließt auch er sich dem obligatorischen Ruf nach mehr Geld an. Die Aussichten dafür sind bescheiden - sowohl mit Blick auf die öffentlichen Haushalte als auch auf die angestrebte Erhöhung der Kino- und Videoabgabe.
Das Beste an diesem Regierungskonzept ist, dass es endlich vorliegt und damit die breite und gründliche Debatte ermöglicht, die wir zur Stärkung des deutschen Films im europäischen und internationalen Wettbewerb dringend mit allen Beteiligten führen müssen. Der Film ist - ähnlich wie das Buch - als Wirtschafts- und Kulturgut gleichermaßen zu begreifen, das weder von ökonomischen Betrachtungen gelöst noch alleine auf diese reduziert werden darf. Nur über eine deutliche Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Films lässt sich auch seine kulturelle Bedeutung sichern. Dazu hätte die Bundesregierung durch entsprechende Regelungen im gerade novellierten Urheberrecht einen praktischen Beitrag leisten können. Die Forderung nach großzügiger Ausstattung der Fördertöpfe mit mehr finanziellen Mitteln ist immer populär, aber nicht immer zielführend. Wer den deutschen Film stärken will, muss sich mehr einfallen lassen als mehr Geld, das er nicht hat.

Der Autor ist kultur- und medienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag.


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