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Frohe Botschaften, fragwürdige Strukturen
Der deutsche Film und seine Förderung - von Dr. Norbert Lammert; erschienen am 12. April 2002 in "Filmecho/ Filmwoche"
Frohe Botschaften und fragwürdige Strukturen: Der deutsche Film und seine Förderung
Von Dr. Norbert Lammert,
kultur- und medienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Es gibt wieder frohe Botschaften vom deutschen Film: Die Zuschauerzahlen sind im vergangenen Jahr deutlich gestiegen, der deutsche Film hat bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin eine demonstrative Aufwertung erfahren, die Filmwirtschaft diskutiert notwendige Weiterentwicklungen des Fördersystems, für die es erste konkrete Vorschläge des zuständigen Staatsministers für Kultur und Medien gibt. Der oberflächliche Blick auf die tatsächliche Lage dämpft jedoch voreiligen Jubel. Von einer Wiederauferstehung des deutschen Films kann keine Rede sein, zumal die größten Firmen der deutschen Filmwirtschaft auch im Erfolgsjahr 2001 Verluste ausweisen. Bei einer Podiumsdiskussion Anfang März in Paris legte Maria Köpf von X-Filme ein aufschlussreiches Bekenntnis ab: Bei der Frankreich-Premiere von LOLA RENNT habe die Berliner Produktionsfirma sorgfältig jeden Hinweis auf die deutsche Herkunft des Films vermieden, um nur nicht am schlechten Ruf des angeblich langweiligen und komplizierten deutschen Kinos Schaden zu nehmen. Auch Claudia Droste-Deselaers von der Filmstiftung NRW stellte kürzlich bei einer Anhörung im Deutschen Bundestag fest, der deutsche Film sei in den Augen von vielen Menschen offensichtlich ein zu wenig begehrenswertes Gut. Daraus ergebe sich das Grundproblem, dass sich die Filmwirtschaft in Deutschland kaum aus seiner originären Quelle, nämlich den Zuschauererlösen, finanzieren könne und auf öffentliche Fördermittel angewiesen sei. Auch die Effektivität dieser Mittel ist mittlerweile nicht mehr unumstritten. „Nur zu oft hat Geld Fantasie und Kreativität ersetzt“, wird inzwischen auch von seiten der NRW-Staatskanzlei eingeräumt. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der deutsche Film weniger an dem rituell beklagten Geldmangel, sondern vor allem an einer Reihe von strukturellen Problemen leidet. Staatsminister Nida-Rümelin stellt dazu in seinem filmpolitischen Papier fest, viele Weichenstellungen im deutschen Filmfördersystem hätten inzwischen einen Grad an institutioneller Verfestigung erreicht, dass sie nur schwer oder nur gegen große Widerstände verändert werden könnten.
Die strukturellen Probleme des deutschen Films wurden jedoch in dieser Legislaturperiode bedauerlicherweise durch misslungene Initiativen der Bundesregierung zusätzlich verstärkt. Das neue Urheberrecht ist jedenfalls nicht dazu angetan, die Wettbewerbsfähigkeit der Filmproduzenten zu verbessern. Durch die Ausweitung des „Bestsellerparagraphen“, der erkennbar für andere Produkte entstanden ist, stehen Filmproduzenten vor neuen, schwer kalkulierbaren finanziellen Risiken. Ein anderes strukturelles Problem des deutschen Kinos sind die meist unzureichenden Budgets, die Regisseuren hierzulande zur Verfügung stehen. Um international wettbewerbsfähige Filme produzieren zu können, bilden die 19 internationalen Koproduktionsabkommen eine prinzipiell sehr gute Möglichkeit, um ausländische Investoren für deutsche Projekte zu gewinnen und diese im Ausland vertreiben zu können. Gerade diesem gleichermaßen vitalen wie erfolgversprechenden Finanzierungs-instrument hat die Bundesregierung mit dem Medienerlass der deutschen Filmwirtschaft einen gravierenden strukturellen Nachteil aufgebürdet. Dieser hat internationale Koproduktionen durch inzwischen erhebliche steuerliche Belastungen nahezu zum Erliegen gebracht. Auch die rhetorische Aufwertung des deutschen Films zum Kulturgut, wie im filmpolitischen Konzept von Staatsminister Nida-Rümelin vorgeschlagen, kann die nachhaltige Verschlechterung der Situation der deutschen Produzenten nicht ausgleichen. Das janusköpfige Medium Film muss immer sowohl als Wirtschafts- als auch als Kulturgut begriffen werden, das weder von ökonomischen Betrachtungen gelöst noch auf diese reduziert werden darf. Nur über eine deutliche Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Films lässt sich auch seine kulturelle Bedeutung sichern.
Eine Schlüsselrolle für die Zukunft des deutschen Films spielen zweifellos die Fernsehsender, deren Möglichkeiten und Grenzen bei der notwendigen Reform des deutschen Filmfördersystems unvorein- genommen geprüft werden müssten. Auch mit Blick auf das Fernsehen ist die Standardforderung eines höheren finanziellen Engagements ganz offensichtlich zu simpel. Viele deutsche Kinofilmproduktionen kommen ohne die Fernsehsender als Finanzierungspartner gar nicht erst zustande, was natürlich auch seine ästhetischen und dramaturgischen Spuren hinterlässt. Geht man, vorsichtig geschätzt, bei jeder Senderfamilie von jährlich rund 30 Filmen mit einem Budget von jeweils 1,5 Mio. Euro aus, fließen bei vier Sendergruppen in Deutschland mindestens 180 Mio. Euro pro Jahr in die deutsche Filmproduktion. Daneben engagieren sich die Fernsehsender auch bei einzelnen Länderförderungen. Angesichts dieser massiven Verbindungen zwischen TV und Film sprechen manche Filmpuristen sogar vom deutschen Kinofilm als aufgeblähtem Fernsehen. Ob sich bei dieser dominanten Position des Fernsehens sowohl als Nachfrager wie als Anbieter von Filmproduktionen die Unterscheidung zwischen Kino- und Fernsehfilm im Fördersystem überhaupt aufrecht erhalten lässt, gehört zu den sorgfältig tabuisierten und zugleich zentralen Fragen. Ihre realistische Beantwortung hat weitreichende Folgen für die institutionelle Förderung des Films in Deutschland – von der Administration bis hin zu Preisverleihungen.
Wer alles so lassen will, wie es ist, wird auch mit mehr Geld, das ohnehin aus öffentlichen Kassen nicht zur Verfügung steht, keine durchgreifende Verbesserung erreichen können. Genau das muss aber das Ziel sein, damit nicht nur Lola rennt und möglichst länger als eine Saison.
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