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Laudatio zur Verleihung des Max-Herrmann-Preises an Götz Aly
Berlin, 21. Oktober 2020
Sehr geehrte Damen und Herren,
vor wenigen Wochen haben einige Dutzend deutsche Autoren, Publizisten, Wissenschaftler und Künstler einen Appell für freie Debattenräume veröffentlicht, der mit folgenden Sätzen beginnt: „Absagen, löschen, zensieren: seit einigen Jahren macht sich ein Ungeist breit, der das freie Denken und Sprechen in den Würgegriff nimmt und die Grundlage des freien Austauschs von Ideen und Argumenten untergräbt. Der Meinungskorridor wird verengt, Informationsinseln versinken, Personen des öffentlichen und kulturellen Lebens werden stummgeschaltet und stigmatisiert. Wir erleben gerade einen Sieg der Gesinnung über rationale Urteilsfähigkeit.“ Vorläufiges Ende des Zitats.
Einer der ersten Unterzeichner dieses Appells ist Götz Aly, der heute den Max-Herrmann-Preis der Freunde der Staatsbibliothek erhält, welcher an einen Mann erinnert, der dieser Bibliothek auf eine erschreckende Weise besonders eng verbunden gewesen ist.
Max Herrmann, seit 1930 Ordinarius in der Berliner Friedrichs-Wilhelms-Universität, gehörte 1933 zu den nicht sehr zahlreichen deutschen Autoren, Publizisten, Wissenschaftlern und Künstlern, die sich vehement gegen eine von der deutschen Studentenschaft verfasste Erklärung „Wider den undeutschen Geist“ Stellung genommen haben und damit die Hoffnung verband, dass dieser Spuk schnell vorbei gehen würde.
Er ging nicht schnell vorbei. Max Herrmann verlor seine Professur, den Zugang zur Bibliothek, die Möglichkeit des seriösen wissenschaftlichen Arbeitens, seine Freiheit als Staatsbürger und schließlich sein Leben.
An ihn soll dieser Preis erinnern, der an Persönlichkeiten verliehen wird, die sich in besonderer Weise um das Bibliothekswesen und die Staatsbibliothek zu Berlin verdient gemacht haben oder an eine Persönlichkeit, „die sich für die den Verfolgten des NS-Regimes gewidmete Gedenk- und Erinnerungskultur engagiert“.
Den Nachweis zu führen, dass diese Zweckbestimmung auf den diesjährigen Preisträger zutrifft, dafür hätte es eines Laudators nicht bedurft.
Götz Aly gehört zu den immer noch seltenen Persönlichkeiten, die eine Doppelkarriere als Journalist und Wissenschaftler gemacht haben. Er ging auf die deutsche Journalistenschule in München, studierte anschließend an der Freien Universität in Berlin Geschichte und Politische Wissenschaften. Er hat insbesondere in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Gastprofessuren wahrgenommen, in Wien, in Salzburg, am Fritz Bauer Institut in Frankfurt am Main. Er gehört seit vielen Jahren dem Stiftungsrat des Berliner Jüdischen Museums an.
Seine großen Themen sind der Nationalsozialismus, der Antisemitismus, der Holocaust, und sowohl seine journalistische wie seine wissenschaftliche Arbeit ist bei verschiedenen Gelegenheiten mit wichtigen Preisen ausgezeichnet worden.
Die damals vorgetragenen Belege und Begründungen für sein herausragendes Wirken als Journalist und Wissenschaftler müssen heute weder bekräftigt noch wiederholt werden. Für mich ganz persönlich steht im Mittelpunkt der Auszeichnung mit dem Max-Herrmann-Preis seine Rolle als Staatsbürger und engagierter Demokrat.
„Wissen sie“, hat Götz Aly vor ein paar Jahren in einem Interview gesagt, „wissen sie, ich bin ein pottnormaler Deutscher mit einem komischen Namen.“ Das ist er eben nicht, weder komisch noch pottnormal.
Das zeigt allein der alles andere normale Umgang mit der eigenen Biografie, beispielsweise seinen Studienjahren, der eigenen Rolle als einer der Begründer und Redakteure einer Zeitschrift, die sich dem damals so verstandenen Freiheitskampf widmete und Terrororganisationen wie die Rote Armee Fraktion, die Bewegung 2. Juni in Wort und Schrift unterstützte, und mit der er sich selbstkritisch, pünktlich zum vierzigjährigen Jubiläum der 68er-Bewegung in einem Buch mit dem nicht zufälligen Titel „Unser Kampf“ auseinandersetzte; in dem er am eigenen Beispiel die Versuchung zur Selbstgerechtigkeit entdeckte und beschrieb und zugleich deutlich machte, dass im Hinblick auf totalitäre und autoritäre Selbstermächtigungen nicht wenige Alt-68er das von ihren Alt-33ern offenkundig geerbt hatten.
Götz Alys erste Tochter erkrankte kurz nach ihrer Geburt und ist seitdem schwerbehindert. Das ist sehr privat und man könnte meinen, das gehört hier nun eigentlich nicht hin. Aber es ist vermutlich auch für sein professionelles Wirken, nicht nur nicht zufällig, sondern maßgeblich gewesen. Jedenfalls leuchtet es sofort ein, dass für jemanden, der sich sehr früh und besonders intensiv mit dem Nationalsozialismus, seinen Entstehungsbedingungen und seinen Folgen beschäftigt hat, die Frage beinahe obsessiv werden musste, ob das eigene Kind in der Zeit des Nationalsozialismus Euthanasieprogramme überlebt hätte.
Ich weise nur deswegen darauf hin, weil sich auch und gerade in diesem Zusammenhang zeigen lässt, dass Götz Aly eben nicht nur ein abstraktes wissenschaftliches Interesse an seinen Gegenständen hat. Die persönliche Betroffenheit trägt die Empathie mit Opfern, nicht abstrakten, sondern konkreten Opfern, die seine Forschung auszeichnet. Und sie hat sich sicher in einer bemerkenswerten Fülle von Publikationen niedergeschlagen: 18 Bücher über die Zeit des Nationalsozialismus, von denen manche Bestseller wurden – was übrigens nebenbei bemerkt kein unerhebliches Indiz für das beachtliche öffentliche Interesse an einer lebendigen Erinnerungskultur in Deutschland ist.
Götz Aly hat nun über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg sich mit diesen großen Themen immer wieder in Büchern, Aufsätzen, Vorträgen, Essays auseinandergesetzt, die im Spiegel erschienen sind, in der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Zeit, eine Bandbreite von Medien und Publikationen, die hinreichend deutlich macht, dass sein Verständnis seiner Themen und seine Orientierung sich nicht zwischen links und rechts verlässlich verorten lässt, sondern wenn überhaupt, zwischen wahrhaftig und geschönt. Und wenn er für sich klare Befunde ermittelt hatte, dann schreibt und spricht er eben auch Klartext – nicht Schönsprech!
Seine Begabung zur Rücksichtslosigkeit im besten Sinne des Wortes, hat mich vor ein paar Jahren auch selber mal getroffen, in Verbindung mit dem Archiv der Deutschen Abgeordneten von Christian Boltanski im Kellergeschoss des Reichstagsgebäudes, als Götz Aly wieder einmal an einer konkreten Stelle die Neigung zur Beschönigung oder Glättung der deutschen Geschichte durch Tilgung unliebsamer Namen in einem einschlägigen Zusammenhang vermutete.
Der Verdacht ad personam, konnte hoffentlich ausgeräumt werden. Er war aber, wie ich einräumen muss, eben auch nicht erfunden, sondern ging auf konkrete Ansinnen zur Löschung bestimmter Namen zurück, die damals an den Präsidenten des Deutschen Bundestages herangetragen wurden, der sich diesem Ansinnen gegenüber allerdings resistent zeigte.
Sein Buch „Hitlers Volksstaat“ hat manche Kontroversen ausgelöst, insbesondere die These des Buches, dass die Hitler-Diktatur die Loyalität der Deutschen durch sozialpolitische Gefälligkeiten erworben habe, hat auch und gerade unter Fachkollegen den Vorwurf der unzulässigen Zuspitzung oder Einseitigkeit nach sich gezogen. Ein Vorwurf, der ihn spätestens seitdem mit einer gewissen Regelmäßigkeit begleitet, wenn ich das richtig beobachtet habe, und tatsächlich kann man bei ruhiger, nüchterner Betrachtung durchaus manche seiner Befunde jedenfalls für – wie ich vermute – wohlkalkulierte Zuspitzungen halten.
Den Holocaust erklärt Aly mit dem Neid auf ein Volk von Aufsteigern, der unter Nichtjuden umging, die ebenfalls aufsteigen wollten, aber mit dem jüdischen Konkurrenten nicht gleichziehen konnten. Das erklärt den staatlich organisierten Massenmord sicher nicht, vielleicht aber die weit verbreitete Neigung zum Wegsehen und Wegducken.
Jedenfalls ist Götz Aly auch und gerade wegen seiner Rücksichtslosigkeit mit eigenen Befunden als Wissenschaftler außerhalb des verbeamteten Wissenschaftsbetriebs in einer bemerkenswerten Weise auffällig geworden, seine Befunde haben eine größere öffentliche Wirkung gefunden als manche ordentliche Professoren, denen seine Arbeit vielleicht auch deswegen allzu außerordentlich erschienen ist.
Nahezu jedes seiner Bücher hat Kontroversen ausgelöst. Das ist alleine noch kein Qualitätsnachweis. Aber dass er zu den wenigen deutschen Historikern gehört, deren Thesen notwendigen Streit regelmäßig ausgelöst haben, eben doch. So ganz viele fallen mir nämlich in diesem Zusammenhang nicht ein.
Mit Diskriminierung ist er vertraut. Er kennt Diskriminierungen nicht nur aus der Perspektive des neutralen, unbeteiligten Beobachters und Wissenschaftlers. Allein wegen seines Namens wurde er mindestens zwei Mal aus startbereiten Flugzeugen geholt und auf merkwürdig einschlägige Weise befragt. Sein Umgang mit tatsächlichen und eingebildeten tatsächlichen und vorgetäuschten Diskriminierungen ist deswegen ebenso unbefangen wie offensiv. Und er scheut sich dann eben auch nicht, die Scheinheiligkeit von erklärten Supertoleranten und Migrationsfreunden aufzugreifen und zu decouvrieren, die bei der Beschulung der eigenen Kinder unter Mobilisierung von Scheinwohnsitzen dann doch Rahmenbedingungen suchen und finden, die für die Bedienung der tatsächlich prioritären Interessen unverzichtbar erscheinen.
Insbesondere in seiner journalistischen, publizistischen Arbeit setzt er sich mit Entwicklungen kritisch auseinander, die eine bemerkenswerte Konjunktur haben, aber nicht immer auf ein solides Verständnis historischer, politischer und sozialer Zusammenhänge sich berufen können. Die um sich greifende Neigung, Straßennamen und Gebäudenamen zu tilgen oder zu verändern, weil sie heutigen Ansprüchen scheinbar nicht mehr genügen, wird von ihm mit ausdrücklicher Verdeutlichung der tatsächlichen historischen Zusammenhänge gerne aufgegriffen. Er wendet sich, wie ich finde mit vollem Recht, gegen eine historisch unaufgeklärte, demonstrative, gelegentlich hysterische Political Correctness, die den Mindestansprüchen jedenfalls nicht genügt, die man vom Staat und Behörden erwarten sollte – von spontanen öffentlichen Stimmungen mal in diesem Zusammenhang ganz abgesehen.
Und im Zusammenhang mit dem Umgang sowohl zuständiger Behörden wie betroffener Bürgerinnen und Bürger im Kontext der Corona-Pandemie, macht er Beobachtungen, die es jedenfalls nachzuvollziehen lohnt.
Nur eine will ich beispielhaft herausgreifen – Zitat: „Dann wäre da noch der altdeutsche Normalo. Er hält es für sein unveräußerliches Menschenrecht, auf der Autobahn mit 190 Sachen dahinzudonnern und jederzeit in jedes Land der Welt zu fliegen, um im Fall einer Pandemie oder der Pleite seines Reiseveranstalters auf Staatskosten zurückgeleitet zu werden. Auch diese Mitbürger gehörten am Sonnabend zu Tausenden zu denjenigen, die gegen ´die da oben´ demonstrierten und behaupteten ´Wir sind das Volk!‘.“ Ende des Zitats.
Ja, so sind wir auch, und bemerken gar nicht, dass diese kostenlose, billige Anmaßung „Wir sind das Volk“ eine Beleidigung derjenigen ist, die für die Inanspruchnahme dieses Satzes damals Zivilcourage brauchten, die heute für diesen Anspruch nicht mehr benötigt wird.
Wenn es mehr Zeit gäbe, als im Rahmen einer solchen Preisverleihung vernünftiger Weise zur Verfügung steht, würde mir noch mancher diskussionswürdige Beitrag auch und gerade aus jüngerer Vergangenheit einfallen, von denen der eine oder andere auch tatsächlich den Streit lohnen würde. Das muss ich mir und Ihnen jetzt mit Blick auf den verfügbaren Zeitrahmen ersparen, motiviert aber vielleicht den einen oder anderen von Ihnen, im Internet noch mal nach entsprechenden Fundstellen zu suchen.
Zu seinem 70. Geburtstag haben ihm einige Gratulanten schriftlich attestiert, er sei, Zitat, „ein Meister der Polemik“. So habe ich ihn offen gestanden nie empfunden, auch und gerade da nicht, wo ich seine Befunde und die Art und Weise, sie in einer zugespitzten Weise zu formulieren, nicht sofort und rundum und vollständig gegenzeichnen würde. Aber dass er mit seinen Forschungen wie mit seinen publizistischen Beiträgen immer wieder Denkgewohnheiten angreift, vermeintliche und tatsächliche Gewissheiten erschüttert, das ist alleine preiswürdig! Jedenfalls wieder nicht so „pottnormal“, wie er sich selber gerne charakterisiert.
In dem Appell für freie Debattenräume, den ich zu Beginn zitiert habe, heißt es ein paar Sätze später, zu dem vorgetragenen Zitat „Das Denken in Identitäten und Gruppenzugehörigkeiten bestimmt die Debatten – und verhindert dadurch nicht selten eine echte Diskussion, Austausch und Erkenntnisgewinn. Lautstarke Minderheiten von Aktivisten legen immer häufiger fest, was wie gesagt oder überhaupt zum Thema werden darf. Was an Universitäten und Bildungsanstalten begann, ist in Kunst und Kultur, bei Kabarettisten und Leitartiklern angekommen. Inzwischen sind die demokratischen Prozesse selbst bedroht.“
Und die Autoren, Publizisten, Unterzeichner dieses Appells machen zum Schluss deutlich, was ich ausdrücklich bekräftige: „Es ist dabei unerheblich, auf welcher politischen Seite die Gruppierung steht, ob sie religiös, weltanschaulich oder moralisch motiviert ist – ein Angriff auf die Demokratie bleibt ein Angriff auf die Demokratie.“ Das ist auch meine felsenfeste Überzeugung.
Deswegen bedanke ich mich beim Verein der Freunde der Staatsbibliothek für die Gelegenheit, einen aufgeklärten Demokraten und engagierten Staatsbürger zu würdigen, der heute den Max-Herrmann-Preis erhält.
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