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Was beim Mahnmal zu klären ist
Gastkommentar von Dr. Norbert Lammert in der der "Welt" vom 25. Januar 1999

Was beim Mahnmal zu klären ist

Gastkommentar von Norbert Lammert

Die Entscheidung des Deutschen Bundestags über ein zentrales Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin ist eine der anspruchsvollsten und zugleich schwierigsten Entscheidungen dieser Legislaturperiode. Mit dem vom Kulturbeauftragten der Bundesregierung Michael Naumann und dem Architekten Peter Eisenman gemeinsam vorgelegten Vorschlag, Eisenmans Konzept eines Stelenfelds durch ein "Haus der Erinnerung" zu ergänzen, ist die Debatte manch gegenteiligem Eindruck zum Trotz weder eröffnet noch beendet worden. Der Respekt vor dem Anliegen wie auch vor den mit ihm befaßten Künstlern, Architekten und Sachverständigen gebietet es, die Entscheidung unter Berücksichtigung der seit mehr als zehn Jahren stattfindenen öffentlichen Debatte und des bis heute nicht abgeschlossenen Wettbewerbs- beziehungsweise Auslobungsverfahrens zu treffen.

Die Initiative von Wissenschaftlern und Publizisten zur Errichtung eines Denkmals wurde vor dem Fall der Mauer gegründet. Den entscheidenden politischen Impuls erhielt sie nach der Wiedervereinigung durch Bundeskanzler Helmut Kohl, der im Kontext mit der Ausgestaltung der Neuen Wache für die Bundesregierung ausdrücklich die Bereitschaft zusagte, an zentraler Stelle eine nationale Stätte der Erinnerung zu errichten, und mit dem Initiativkreis einen Finanzrahmen des Bundes von 15 Millionen Mark vereinbarte. Auf dieser Basis fanden dann zwei von Bundesregierung, Berliner Senat und Initiativkreis ausgelobte Wettbewerbsverfahren statt.

Das Ergebnis waren mehrere hundert Vorschläge, drei kontroverse Kolloquien über Standort und Gestaltung sowie die Einberufung einer hochrangigen Findungskommission, um eine zweite Stufe des Wettbewerbs zu organisieren. Unter den nun eingereichten 19 Arbeiten kamen vier in die sogenannte Realisierungsauswahl: Peter Eisenman/ Richard Serra (New York), Jochen Gerz (Paris), Daniel Libeskind (Berlin), Gesine Weinmiller (Berlin). Über sie ist bis heute nicht abschließend entschieden.

Es gibt gute, wenn nicht zwingende Gründe, den Beschluß über ein nationales Mahnmal wegen seiner herausragenden Bedeutung im Parlament zu treffen. Es entspricht dieser Bedeutung, daß alle Fraktionen und Mitglieder des Bundestags den Willen signalisieren, in offener, unvoreingenommener Diskussion über Parteigrenzen hinweg einen Beschluß herbeizuführen, der auf ein hohes Maß an öffentlicher Zustimmung rechnen kann.

Dabei muß allerdings sorgfältig der Eindruck vermieden werden, das Parlament wolle sich zur obersten Kunst- und Kulturkommission Deutschlands erklären. Es darf sich auch nicht in eine solche Situation hineinmanövrieren lassen. Der Bundestag hat vielmehr politisch zu entscheiden, ob und wo ein Mahnmal oder eine etwaige Alternative errichtet werden soll; er ist in seiner Entscheidung souverän und muß sich durch niemanden präjudizieren lassen.

Indes gibt es Fragen, die vor einem Beschluß dringend zu klären sind. So ist unklar, ob die Bundesregierung das bisherige Verfahren abschließen oder gegebenenfalls neu beginnen will, ob die von Naumann vorgetragenen Überlegungen die Auffassung der Regierung darstellen oder ob diese tatsächlich auf jede eigene Gestaltungsabsicht verzichtet. Unabdingbar ist im übrigen auch, daß die Bundesregierung sich mit dem Berliner Senat abstimmt.

Ich persönlich habe große Zweifel, ob Eisenmans bemerkenswerter Entwurf, der gegen manche vordergründige Kritik verteidigt werden muß, mit seiner Synthese aus Mahnmal, Museum, Dokumentationszentrum, aus Forschungsstelle, Bibliothek und Wechselausstellung nicht am Ende die angestrebte Wirkung eher schmälert als vertieft. Im Bemühen, alle denkbaren Gesichtspunkte möglichst gleichzeitig zu berücksichtigen und alle Einwände aufzugreifen, bedient er Funktionen, die anderenorts, gerade auch in Berlin, in ähnlicher Weise bereits wahrgenommen werden. Zugleich weicht er der eigentlichen Entscheidung aus: dem Beschluß des Bundestags, im Jahr des Umzugs von Bonn in die alte und neue deutsche Hauptstadt ein zentrales Mahnmal zu errichten als Zeichen der Entschlossenheit Deutschlands, an das beispiellose Ereignis dieses Jahrhunderts zu erinnern, das nie vergessen werden und sich nie wiederholen darf: Holocaust.

Wenn der Bundestag rund 50 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik und zehn Jahre nach dem Mauerfall beschließen will, wie und in welcher Form eine würdige, nachvollziehbare Auseinandersetzung mit diesem unfaßbaren Kapitel deutscher Geschichte ermöglicht werden soll, dann freilich muß dies nicht zwingend in den ersten hundert Tagen der neuen Regierung oder kurz danach geschehen.

Es geht nicht um eine eilige, sondern eine würdige Entscheidung: Sie muß dem Anspruch gerecht werden, den wir selbst und andere mit ihm verbinden.


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