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Rede anläßlich der Buchhändlertage des Börsenvereins des deutschen Buchhandels
am 24. Mai 2006 in Berlin

Sehr geehrter Herr Honnefelder,
meine Damen und Herren,

ich bedanke mich für die freundliche Einladung und die liebenswürdige Begrüßung. Herr Honnefelder hat mir gerade kurz vor der Veranstaltung eröffnet, er hätte sich auch vorstellen können, dass ich zur Eröffnung dieser Tagung gesprochen hätte. Nach seinen Erfahrungen seien Schlussworte immer dann besonders wichtig, wenn eine Tagung gründlich daneben gegangen sei. Auf meine Frage, wie er den Verlauf der letzten Tage denn beurteile, meinte er, es sei eine vorzügliche Tagung gewesen. Das hat die letzten Illusionen über die Bedeutung meines Schlusswortes ausgeräumt. Ich bin deswegen gerührt, dass dennoch so viele von Ihnen gekommen sind, zumal das nichtvorhandene Thema ja jede beliebige Erwartung zulässt.

Die schlichte Ankündigung eines Schlusswortes gibt mir die Gelegenheit zu einer herzlichen Gratulation, einer ernst gemeinten Bekräftigung, einer eher besorgten Beobachtung und zu einem mindestens gut gemeinten Appell. Und wenn ich damit durch bin, erreichen die Buchhändlertage mit dem Mittagessen ihren eigentlichen Höhepunkt.

Ich möchte zunächst Ihnen, lieber Herr Honnefelder, herzlich gratulieren zu Ihrer Wahl zum Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Unter den vielen Ämtern in den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft ist dies ein ganz besonderes Amt. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Sie dieses besondere Amt auch in einer ganz besonderen Weise wahrnehmen werden. Dafür wünsche ich Ihnen Erfolg und soweit das bei der Wahrnehmung solcher Aufgaben möglich ist, gelegentlich auch Freude, bei gemütlichen und weniger gemütlichen Amtspflichten. Jedenfalls möchte ich Ihnen und dem Verband gerne wünschen, dass der Verband Freude an seinem Vorsitzenden und der Vorsteher Freude an seinem Verband behält.

Damit bin ich schon beim zweiten angekündigten Stichwort, nämlich einer kurzen Bekräftigung. Wenn Sie bei der Eröffnung der Buchhändlertage, Herr Honnefelder, tatsächlich gesagt haben, was mir die Geschäftsstelle freundlicherweise als Absicht, oder deren Vorstellung von dem, was Sie hätten sagen sollen, übermittelt hat, dann haben Sie darauf hingewiesen: „seine Privilegien hat der Buchhandel vom Gesetzgeber nicht erhalten, damit er zum Gleichmacher der Vielfalt von Inhalten wird“. Ende des Zitats, wenn es hoffentlich so vorgetragen wurde.

Ich stimme beiden Hälften dieses Satzes ausdrücklich zu. Und will ausdrücklich darauf aufmerksam machen, dass die erste Hälfte dieses Satzes eine Tatsachenbehauptung enthält, die nicht ganz so selbstverständlich ist, wie sie in einschlägigen Zusammenhängen gerne genommen wird. Diese Branche ist aus allerdings guten Gründen mit einigen Privilegien ausgestattet, zu denen der halbe Mehrwertsteuersatz und vor allem die Buchpreisbindung gehören.

Es wird sie nicht völlig erschrecken, wenn ich darauf hinweise, dass bei anderen ähnlich bedeutenden, auch gelegentlich mit Schwierigkeiten kämpfenden Wirtschaftszweigen und Branchen die Sonderbehandlung der Verlage und des Buchhandels nicht überall immer schieres Entzücken auslöst. Und es kommt vor, dass diese Sonderbehandlung kritisch befragt wird, ob sie erstens überhaupt und zweitens immer noch gerechtfertigt sei. Und ganz sicher gibt es unter Ihnen noch den Einen oder Anderen, der sich daran erinnert, dass wir vor nicht allzu langer Zeit eine handfeste Auseinandersetzung mit der Europäischen Kommission zur Aufrechterhaltung dieser deutschen Sonderregelung geführt haben, an die ich mich auch deswegen besonders gut, übrigens auch besonders gerne erinnere, weil ich persönlich daran kräftig beteiligt war. Nach manchen Scharmützeln, die wir mit europäischen Partnern ausgetragen haben, haben wir am Ende gewissermaßen mit der ganzen Wucht deutscher Gesetzgebung bekräftigt, was zuvor Gegenstand einer nichtangefochtenen informellen Regelung war.

Ich will ausdrücklich unterstreichen, was Herr Honnefelder in diesem zitierten Satz verdeutlicht hat. Diese Privilegien hat der Buchhandel vom Gesetzgeber nicht erhalten, „damit er zum Gleichmacher der Vielfalt von Inhalten wird“. Ich kann das auch anders formulieren: Solche gesetzlichen Sonderregelungen sind nur zu verantworten, nur zu vertreten, jedenfalls nur aufrechtzuerhalten, wenn nicht nur zum Zeitpunkt der Antragstellung, sondern immer wieder der Nachweis geführt wird, dass es solcher Regelungen bedarf und dass sie nicht nur dem Selbstverständnis, sondern auch dem Verhalten der eigenen Branche entsprechen.

Und damit bin ich bei meinem dritten Punkt, den ich unter der Überschrift „besorgte Beobachtung“ angekündigt hatte. Ich habe mit besonders großem Interesse vor ein paar Wochen die Beilage der ZEIT gelesen, in der deutsche Verleger nach Ihren Sorgen und Hoffnungen, nach der aktuellen Lage im Buchhandel und der Gegenwartsliteratur befragt wurden. Bei dieser Umfrage viel mir zweierlei auf. Das erste hat mir gut gefallen und das zweite nicht. Es gab eine auffällig freundliche Beschreibung der gegenwärtigen Situation der Branche. Die hier dokumentierten Antworten schwanken zwischen ordentlich, zufrieden stellend, gut bis sehr gut, und wurden von einem der befragten Verleger in dem schwerlich überbietbaren Satz zusammengefasst: „bleibt mir als einzige Klage im Augenblick, das es so gar nicht wirklich etwas zu klagen gibt.“ Dass man so was zu Lebzeiten noch erfährt, damit rechnet man jedenfalls in Deutschland nicht wirklich.

Der aus meiner Sicht zweifellos spannendere Teil dieser Umfrage bezog sich auf die Lage im Buchhandel. Und da will ich jetzt einfach der Reihe nach eine Reihe der Einschätzungen wiedergeben, die sich in dieser Umfrage finden und die sich mit eigenen Beobachtungen decken:

Auf die Frage, „was ist gegenwärtig Ihre größte Sorge?“,

1. Die Lahmlegung des unabhängigen Buchhandels durch die Buchketten, in deren Gefolge ein fantasieloser Einheitsbrei dem Publikum vorgesetzt wird.

2. Die Verengung der Perspektive auf das vermeintliche gängige, die Wiederholung des Erfolgs vom letzten Jahr durch Imitation.

3. Mit angehaltenem Atem verfolgen wir das, was man so leichthin Konzentrationsprozess in der Distribution nennt. Eine gewaltige Umwälzung, die alles verändert.

4. Die zunehmende Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen Buchhandel und Verlagen zu ungunsten letzterer, was sich auf Vielfalt und Qualität der Buchproduktion nur negativ auswirken kann.

5. Was bei Büchern zurzeit stattfindet, kommt leider einem Preis- und Wertverfall sehr nahe.

6. Kein Kraut ist gewachsen gegen Konzentration und Filialisierung, die unvermindert anhalten, ja sich beschleunigen. Im Vergleich zu den Großen des Handels sind immer mehr Verlage klein und sie bekommen es zu spüren.

7. Bedenklich ist der Trend zur Uniformierung des Angebots, verursacht durch den zentralen Einkauf seitens der großen Filialunternehmen.

8. Bücher sind eine stille Ware. Sorgen habe ich deshalb, wie künftig anspruchsvollere Literatur in immer derber werdenden medialen Kampf um das knappe Gut Aufmerksamkeit dastehen wird.

9. Kleine literarische Buchhandlungen verschwinden und weichen Buchhandelsketten, in denen sich monothematisch und langweilig die Bestseller stapeln.

10. Der individuelle Buchhandel, der es noch wagte, ein Sortiment nach eigenem Gusto zu präsentieren, wird von den uniformen Angeboten quer durch die Lande abgelöst. Und leider werden diese Angebote immer seichter. Das Buch wird gänzlich zur Ware.

10mal Originalzitate deutscher Verleger.

Damit bin ich mit meinem Schlusswort fast durch. Glauben Sie bitte nicht, dass wenn diese Beobachtungen zutreffend sind, und wenn dieser Trend anhält, woran ich leider keinen Zweifel habe, die von Ihrem gerade gewählten Vorsteher in seiner Eröffnungsrede genannte Privilegierung der Branche Bestand haben könnte. Deshalb mein gut gemeinter Appell, den ich zum Schluss gerne vortragen möchte. Nehmen Sie bitte dieses Thema, das Buch als Kulturgut mindestens so ernst, wie Sie es von der Politik erwarten. Die Buchpreisbindung ist nicht von der Politik bedroht, sondern von der Branche. Und wenn sie nicht Bestand haben sollte, suchen Sie die Ursachen in den eigenen Reihen.

Als Kulturpolitiker aus Passion, der im übrigen den wesentlich größeren Teil der eigenen politischen Laufbahn in der Wirtschaftspolitik absolviert hat, sind mir die Gesetzmäßigkeiten des Wettbewerbs durchaus vertraut. Ich weiß, dass die Verlage wie der Buchhandel seine Kosten auf Märkten erwirtschaften und seine Investitionen in der Regel durch Erträge, nicht durch Subventionen finanzieren müssen. Aber je eindeutiger oder gar eindimensionaler die Geschäftspolitik des Verlegens oder Verkaufens von Büchern ökonomischen Kalkülen folgt, und je weniger an kultureller Verantwortung bzw. Selbstverpflichtung bleibt, desto aussichtsloser wird die Erwartung einer privilegierten Behandlung, die dem Kulturgut, nicht der Ware Buch gilt.

„Nur eine Gesellschaft, die liest, ist eine Gesellschaft, die denkt.“ Der Satz soll von Frau Nölle-Neumann stammen. Ich hoffe, sie hat für diese Beobachtung auch stabile empirische Belege, denn es gibt ja auch Spötter, die behaupten, dass viele Menschen bloß deshalb lesen, damit sie nicht zu denken brauchen. Ich persönlich gehöre zu denen, die gerne lesen, weil sie das fürs eigene Denken dringend brauchen. Und ich fühle mich durch die Lektüre immer wieder in manchen Einsichten auf hohem Niveau bestärkt, die ich auf sehr viel bescheidende ohnehin zu haben glaubte, aber immer wieder auch auf neue Gedanken gebracht, auf die ich ohne die Lektüre von Büchern vermutlich nie gekommen wäre. Mindestens insofern und insoweit halte ich mich für repräsentativ. Meine Begeisterung für das Buch hängt mit genau dieser Erwartung zusammen. Nur solange, wie das Kulturgut Buch und eben nicht nur das einzelne Buch, sondern das Sortiment der Bücher diese Erwartung rechtfertigt, haben Sie und wir eine Begründung für die Sonderregelung der Ware Buch gegenüber den Millionen anderer Produkte, die es in unserer Volkswirtschaft gibt.


„Der Bundestagspräsident hat mit alttestamentarischer Prägnanz der Branche die Leviten gelesen“

(G. Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels)


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