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"Die Kraft der Erinnerung 1632 - 2007" - Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung Gustav Adolf König von Schweden
Am 31. August 2007 in Lützen

Ob die Schlacht bei Lützen überhaupt stattgefunden hätte, wenn Gustav Adolf damals bei seinem Einzug in die Stadt nicht von den kaiserlichen Heeren unter Wallenstein, sondern vom Landespolizeiorchester Sachsen-Anhalt empfangen worden wäre, mit einem „Chattanooga Choo Choo“, ist eine dieser herrlich abwegigen Spekulationen, die Sie hoffentlich nicht für einen allzu leichten Einstieg in einen sehr viel ernsthafteren Eröffnungsvortrag halten.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
Herr Bürgermeister, lieber Kollege Reichel,
Frau Botschafterin,
Herr Gesandter,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Parlamenten und öffentlichen Körperschaften,
Frau Dr. Schuberth,
meine Damen und Herren,

im Frühjahr dieses Jahres haben in Rom und in Berlin Festveranstaltungen stattgefunden aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums der Römischen Verträge und damit der Grundlegung einer Europäischen Gemeinschaft von damals 6, heute 27 Mitgliedsstaaten. Aus diesem Anlass fand im Quirinalspalast in Rom, dem Sitz des italienischen Staatspräsidenten, eine einmalige, in vielerlei Hinsicht außergewöhnliche und aufschlussreiche Kunstausstellung statt, in der jedes der 27 Mitgliedsstaaten mit genau einem Exponat vertreten war. Und es gab – wie Sie sich denken können – eine außergewöhnliche Bandbreite höchst unterschiedlicher Gemälde und Skulpturen aus einer vielhundertjährigen europäischen und nationalen Geschichte. Das für mich auffälligste Exponat dieser Ausstellung kam aus Schweden. Es war das Historiengemälde von Carl Wahlbom „Tod des Königs Gustav II. Adolf von Schweden in der Schlacht bei Lützen“. Dass dieses Gemälde schon von den Abmessungen her die Ausstellung, ich will nicht sagen dominierte, aber doch in einer besonders auffälligen Weise bestimmte, wird Ihnen sofort einleuchten, vielleicht auch das Naserümpfen mancher Kunstexperten, was in dieser Ausstellung ausgerechnet ein solches Bild zu suchen habe. Mir hat es schon damals gut gefallen, zumal sich ja spätestens auf den zweiten Blick sofort erschließt, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Gegenwart, die uns in Gestalt einer europäischen Staatengemeinschaft längst selbstverständlich vorkommt, und einer gemeinsamen europäischen Vergangenheit, die ungleich komplizierter war.

Den Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Gegenwart und insbesondere diesen auf den ersten Blick etwas kühnen Zusammenhang zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und der europäischen Realität von heute hat Günter Grass in seiner berühmten Erzählung „Das Treffen von Telgte“ in einer ganz besonders originellen Weise hergestellt. Er schildert in dieser Erzählung ein fiktives Schriftstellertreffen aus dem Jahre 1647, das selbstverständlich so nie stattgefunden hat, und schlägt gewissermaßen eine gedankliche Brücke zur Gruppe 47, dreihundert Jahre danach, die nach einem wiederum verheerenden Krieg sich wiederum mit der Frage auseinandersetzt, wie wir das eigene Land und seine Nachbarn in Zukunft anders und besser ordnen sollten, einschließlich der heute wie damals aktuellen Frage, welchen Beitrag in diesem Zusammenhang Schriftsteller gegenüber Politikern und die Kunst gegenüber der Wirklichkeit leisten kann.

In dieser lesenswerten Erzählung finden sich folgende, nicht nur gut formulierten Sätze: „Gestern wird sein, was morgen gewesen ist. Unsere Geschichten von heute müssen sich nicht jetzt zugetragen haben. Diese fing vor mehr als dreihundert Jahren an. Andere Geschichten auch. So lang rührt jede Geschichte her, die in Deutschland handelt.“ – mindestens so lang, möchte man hinzufügen.

Die Ausstellung, die heute eröffnet wird, erinnert an eine herausragende Persönlichkeit, an einen großen Schweden, an eine bedeutende Gestalt der europäischen Geschichte.

Gustav Adolf ist eine in vielerlei Hinsicht außergewöhnliche Figur in einer für die Staatenbildung in Europa außerordentlichen Zeit. Der Dreißigjährige Krieg war eine der großen Katastrophen der europäischen Geschichte, gespiegelt in einer tragischen Figur, die im Sieg den Tod fand und im Tod den Sieg.

Gustav Adolf wurde am 19. Dezember 1594 in die Herrscherfamilie der Wasa geboren, er stieg spektakulär früh in das öffentliche Leben ein, mit acht Jahren nahm er erstmals an Sitzungen des Senats in Schweden teil. Im Alter von 12 Jahren empfing er ausländische Gesandte, seine erste Thronrede hat er mit 15 Jahren gehalten, bevor er dann 17-jährig 1611 den Thron Schwedens bestieg und zur einer charismatischen Führungspersönlichkeit wurde.

Er hat in seiner Amtszeit den schwedischen Herrschaftsbereich im Baltikum erheblich ausgeweitet und griff 1630 in den – wie man damals noch nicht vermutete – am Ende Dreißigjährigen Krieg in Deutschland ein. Grund war gewiss nicht und schon gar nicht in erster Linie die Sorge um die Behauptung des Protestantismus, sondern das Vordringen der kaiserlich-habsburgischen Macht bis an die Ostsee, das er als Gefährdung der Stellung Schwedens ansah. Das Eingreifen Gustav Adolfs in diesen Krieg fand allerdings in einem Moment statt, als die Situation der deutschen Protestanten auf Grund der Niederlagen gegen die von Wallenstein geführten kaiserlichen Truppen hoffnungslos zu sein schien. Nach einigem Zögern auf Seiten der deutschen protestantischen Fürsten verbündete er sich mit Sachsen und Hessen-Kassel, besiegte die kaiserlich-katholische Armee unter Tilly am 17. September 1631 in der ersten Schlacht bei Breitenfeld und drängte die Kaiserlichen bis nach Bayern zurück. Von den deutschen Protestanten wurde Gustav II. Adolf als Vorkämpfer, Held und Retter des deutschen Protestantismus idealisiert. „Evangelischer Glaube und schwedischer Machtausdehungsdrang lebten ungeschieden in seiner frommen und heroischen Natur“, wie der Historiker Ernst Walter Zeeden – wie ich finde – klug bemerkt hat.

Am 16. November 1632 kam Gustav Adolf in der Schlacht bei Lützen, einer der verlustreichsten Schlachten dieses Krieges, bei einem Reiterangriff um Leben, obwohl die Schweden am Ende dieser Schlacht das Feld für sich behaupteten. Möglicherweise ist er trotz des für Schweden eher günstigen Schlachtenausgangs auch deshalb oder nur deshalb in dieser Schlacht ums Leben gekommen, weil er, der sich selbst und auch von anderen für unverwundbar gehalten hatte, wegen seiner Kurzsichtigkeit in feindliche Reihen geraten war. Eine ebenso tragische wie symbolträchtige Kurzsichtigkeit. Gustav Adolf war nicht das erste und nicht das letzte Opfer einer Verbindung von Kurzsichtigkeit und Überheblichkeit, die allerdings auch nach dem Dreißigjährigen Krieg in der europäischen Geschichte auch und gerade in Deutschland mit einer deprimierenden Regelmäßigkeit weiter zu beobachten war.

Es ist im Rahmen eines Eröffnungsvortrages, der sich ja nun auch zeitlich in Grenzen halten soll, weder nötig noch möglich, die Bedeutung Gustav Adolfs für Schweden zu würdigen, immerhin will ich wenigstens darauf hinweisen, dass seine Organisation und Reform von Verwaltung, Steuerwesen und Rechtswesen, sein Beitrag zur Begründung eines über Generationen stabilen und vorbildlichen Schulwesens und nicht zuletzt seine militärischen Veränderungen mit dem Aufbau einer der schlagkräftigsten Armeen im damaligen Europa zur Stabilisierung der Bedeutung seines Landes und zur Veränderung nicht nur der politischen Kräfteverhältnisse in Europa in erheblichem Maße beigetragen haben.

Heute präsentiert die Stadt Lützen in einer deutsch-schwedischen Kooperation mit der Lützen-Stiftung in Göteborg eine Ausstellung, die sich mit der Erinnerung an den schwedischen König und deren Wandel in Zeitläufen auseinandersetzen will. Ausgehend vom Tod des Königs stellt die Propagandakampagne einen Schwerpunkt dieser Ausstellung dar, die bereits mit dem Eintritt Gustav Adolfs in den Krieg 1630 begann und seinen plötzlichen Tod in heroischer Weise verklärte. Die Ausstellung, die heute eröffnet wird, will ausdrücklich diese Erinnerung aufzeigen und zugleich kritisch hinterfragen. Dafür gibt es gewiss gute Gründe und hinreichenden Anlass: vor allem die Suche nach der Wahrheit zwischen Verdammung und Verklärung, Aufklärung und Rechtfertigung.

Kurz nach seinem Tode wurde ein Findling an den Ort der Schlacht von 1632 gerollt, der bereits im 17. und 18. Jahrhundert zum Ziel von Erinnerungsreisen wurde. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich der im Volksmund „hohe Stein“ oder „Gustavstein“ genannte Granitstein zu einer Art Denkmal. Er trug die Inschrift: „Was Gustav Adolphs Heldengeist vollbracht; Was er, der große Held für seinen Glauben, für Deutschland, für Europens Freiheit tat.“

1832 strömten zur 200-Jahr-Feier etwa 12.000 Menschen hier zusammen. Es wurde in der Folge ein Baldachin nach Entwürfen von Karl Friedrich Schinkel über dem Schwedenstein errichtet, der 1837 in Anwesenheit von nicht weniger als 30.000 Menschen eingeweiht wurde. Das Denkmal zierten die Worte: „Er führte den Krieg des Herrn“. Den führte er sicher nicht. Deswegen sind solche Ausstellungen in der Tat mehr und müssen mehr sein als organisierte Nachhilfestunden mit Blick auf bedeutende Ereignisse einer lange zurückliegenden Geschichte. Der Ministerpräsident hat das aus guten Gründen in seiner Begrüßung hervorgehoben.

Von Napoleon stammt die zynische Bemerkung: „Geschichte ist die Sammlung von Lügen, auf die man sich geeinigt hat.“ Das eben darf Geschichte nicht sein, auch wenn es geradezu unvermeidlich ist, dass jeder Blick einer Generation auf zurückliegende Vergangenheit zu einer Verkürzung sehr viel komplizierter Zusammenhänge führt. Mit der ganz unvermeidlichen Versuchung und Neigung zur Mythenbildung und zur Heldenverehrung auch da, wo die Wirklichkeit ganz offenkundig sehr viel komplizierter war. „Seit der politischen Wende“, heißt es in der Ankündigung dieser Ausstellung, „seit der politischen Wende von 1989 bietet sich in Lützen erstmals die Möglichkeit, einen Blick auf Gustav Adolf zu werfen, der vor allem kritisch sein soll und sein darf.
Das die Kuratoren dieser Ausstellung sich ausdrücklich vorgenommen haben, eine kritische Auseinandersetzung nicht nur mit dem Ereignis, sondern mit der Erinnerung an dieses Ereignis möglich zu machen, das findet meinen ausdrücklichen Respekt und meine ausdrückliche Unterstützung.


Meine Damen und Herren, der Ministerpräsident hat schon auf die in vielerlei Hinsicht bedeutende Geschichte des Dreißigjährigen Krieges hingewiesen, die aus der Feder von Friedrich Schiller stammt. Wer sich seine Schilderung der Schlacht von Lützen ansieht, der wird – jedenfalls ist es mir so gegangen – ein bisschen überrascht, vielleicht sogar ein bisschen erschrocken sein von der Leichtfertigkeit, mit der hier eine dramatische blutige Auseinandersetzung in einer beinahe romantischen Weise verklärt wird: „Endlich erschien der gefürchtete Morgen. Aber ein undurchdringlicher Nebel, der über das ganze Schlachtfeld verbreitet liegt, verzögert den Angriff noch bis zur Mittagsstunde. Vor der Front kniend hält der König seine Andacht. Die ganze Armee, auf die Knie hingestürzt, stimmt zu gleicher Zeit ein rührendes Lied an, und die Feldmusik begleitet den Gesang. Dann steigt der König zu Pferde und bloß mit einem ledernen Koller und einem Tuchrock bekleidet – eine vormals empfangene Wunde erlaubt Ihm nicht mehr, den Harnisch zu tragen –, durchreitet er die Glieder, den Mut der Truppen zu einer frohen Zuversicht zu entflamme, die sein eigener ahnungsloser Busen verleugnet. „Gott mit uns!“ war das Wort der Schweden. Das der Kaiserlichen: „Jesus Maria!“. Gegen elf Uhr fängt der Nebel an, sich zu zerteilen, und der Feind wird sichtbar. Zugleich sieht man Lützen in Flammen stehen …“

Diese Art der Beschreibung von Kriegsereignissen hat nach meinem Eindruck die einschlägige Literatur mindestens zum ersten Weltkrieg in einer ganz wesentlichen Weise geprägt. Und auch die vom Ministerpräsidenten vorhin zitierte Schlussfolgerung Schillers über das Ergebnis dieses Dreißigjährigen Krieges in Gestalt der Friedensordnung von Münster und Osnabrück wird von modernen Historikern sehr viel kritischer betrachtet als von Schiller und seinen Zeitgenossen, die unter anderen Bedingungen der damaligen Zeit einen anderen Blick auf die gleichen Ereignisse gehabt haben: „Aber Europa ging ununterdrückt und frei aus diesem fürchterlichen Krieg, in welchem es sich zum erstenmal als eine zusammenhängende Staatengesellschaft erkannt hatte; und diese Teilnehmung der Staaten an einander, welche sich in diesem Krieg eigentlich erst bildete, wäre allein schon Gewinn genug, den Weltbürger mit seinen Schrecken zu versöhnen.“

Für heutige Historiker ist wiederum, aus unseren heutigen Erfahrungen genauso verständlich, am Dreißigjährigen Krieg besonders die Parallele auffällig, die es zu manchen späteren blutigen Auseinandersetzungen in Europa gegeben hat. Im Begleitbuch zur Ausstellung 1648 „Krieg und Frieden in Europa“, die damals zur Erinnerung an den Westfälischen Frieden in Münster und Osnabrück stattgefunden hat, schreibt der Historiker Heinz Schilling: „Diese europäischen Kriege im Zeichen des Konfessionalismus waren nicht einfach eine Variante der Staatsbildungs- oder der Staatenkriege. Sie besaßen vielmehr eine eigene Qualität, die sich aus der Überschneidung des politisch-staatlichen und des religiös-kirchlichen Grundsatzwandels ergab. Erst dadurch erhielten viele der zwischen 1550 und 1650 ausgefochtenen Kriege jenes Maß an grundsätzlicher, man könnte auch sagen, fundamentalistischer Feindseligkeit, das Europa erstmals in eine Krise neuzeitlichen Ausmaßes stieß, in der das menschliche Zusammenleben sowohl innerhalb der Staaten wie auch zwischen den Mächten auf dem Spiel stand.“

Und tatsächlich ist aus der Rückbetrachtung manches in einer erschreckenden Weise aktuell geblieben, was gewissermaßen fast schon despektierlich formuliert im Dreißigjährigen Krieg in Europa zum ersten Mal „mit Erfolg“ ausprobiert wurde.

Der Dreißigjährige Krieg ist der erste Krieg in Europa, der globalen Charakter hatte. An ihm waren fast alle Staaten des Abendlandes beteiligt, und mit den Türken war auch der Orient einbezogen. Im Dreißigjährigen Krieg wurde zum ersten Mal eine entwickelte Waffentechnik in einem gigantischen Maßstab wechselseitig in Stellung gebracht, mit dem Einsatz von Massenheeren gewann das Kriegsgeschehen eine völlig neue Dimension. Die Machthaber bedienten sich vielfach ideologischer Argumente zur Durchsetzung ihrer Interessen. Der Dreißigjährige Krieg ist nicht zuletzt die Geschichte von Religion und Gewalt, von Glaube und Macht. Er ist nicht zuletzt die Geschichte einer schamlosen Instrumentalisierung des einen für das andere. Der Dreißigjährige Krieg ist eine Zeit ideologischer Intoleranz, er ist eine Zeit der Entwicklung und gnadenlosen Anwendung terroristischer Praktiken mit der wechselseitigen Verteufelung der jeweiligen Gegner und seiner sich daraus ergebenden Brutalität in der Auseinandersetzung, die die Wahrnehmung der Völker Europas über Jahrzehnte und Jahrhunderte geprägt und belastet hat.

Der eigentliche Kriegsschauplatz Deutschland war am Ende nicht nur weitgehend verwüstet, sondern auch der Besitzgier ausländischer Staaten ausgeliefert, und der Westfälische Frieden war bei manchem, was man zu Recht freundliches über ihn sagen kann und sagen muss, zugleich der Ausgangspunkt für neue Konflikte.

In der kollektiven Erinnerung der Deutschen lebte der Dreißigjährige Krieg Jahrhunderte lang als die nationale Katastrophe fort; erst die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts haben ihm diesen traurigen Rang mit noch deprimierender Konsequenz endgültig streitig gemacht. Wir befinden uns schon mitten im 20. Jahrhundert, wenn wir etwa die schwierige Geschichte des Umgangs der Europäischen Nationen miteinander nach dem I. Weltkrieg in Erinnerung rufen, wie viele Historiker und Kommentatoren ihre damalige kritische Auseinandersetzung mit dem Versailler Vertrag und seiner eher konfliktfördernden als friedensstiftenden Wirkung in eine vermeintlich gerade Linie mit dem Ausgang des Dreißigjährigen Krieges und dem Westfälischen Frieden gesetzt haben.

Meine Damen und Herren, ich finde es außerordentlich ermutigend und beruhigend, dass die Beschäftigung mit Geschichte in den letzten Jahren deutlich an Intensität gewonnen hat, dass sie, wie manche meinen, geradezu eine neue Konjunktur erfahren. Das ist ein wie mir scheint gutes willkommenes Anzeichen dafür, dass die Menschen am Beginn eines 21. Jahrhunderts in einer in vielfacher Weise wieder gründlich veränderten und wiederum gründlich komplizierten Welt nach Orientierung suchen, und dass bei dem eigenen Weg in eine offenen Zukunft wieder die Frage interessiert, woher wir eigentlich kommen, was wir hinter uns haben und hoffentlich auch hinter uns gelassen haben.

Am Beginn genau dieser Woche, meine Damen und Herren, in der diese Ausstellung zur Erinnerung an Gustav Adolf, den großen Schwedenkönig und einen großen verheerenden Krieg in Europa stattfindet, am Beginn dieser Woche hat in Berlin im Reichstag ein Ostseeparlamentariertreffen stattgefunden. Mit gut 100 – 120 Vertretern der Parlamente aus allen Anrainerstaaten der Ostsee, auch Schweden, auch Deutschland, die baltischen Staaten und Russland in einem Konferenzsaal friedlich vereint. Bei der Veranstaltung – ich habe sie eröffnet, weiß also, wovon ich rede – ist kein Schuss gefallen, es wurde kein Land erobert, es wurde keine Stadt zerstört und keine deutsche Zeitung hat von dem Ereignis Kenntnis genommen. Europa ist unauffällig geworden. Unauffällig, aber wirklich. Mir ist diese Unauffälligkeit um vieles lieber, als die spektakulären Ereignisse der Vergangenheit, an die auch diese Ausstellung aus gutem Grund erinnert. Heute so scheint es, ist Europa kein Grund zur Aufregung, aber es ist ein Grund zur Freude – für alle, die heute leben, hier in Lützen, in Sachsen-Anhalt, in einem wiedervereinigten Deutschland – in einem geeinten Europa. Und es ist ein Anlass zur Dankbarkeit gegenüber all denen, die in auffälliger und unauffälliger Weise die riesige Wegstrecke und Entwicklung zwischen damals und heute möglich gemacht haben.


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