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Föderalismus und Parlamentarismus
Rede vor dem Bayerischen Landtag am 03. April 2008

Präsident Alois Glück: Ich bitte die Medienvertreter, den Raum wieder freizugeben.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Ich begrüße Herrn Bundestagspräsidenten Prof. Dr. Lammert im Namen des Hohen Hauses herzlich im Bayerischen Landtag. Herr Bundestagspräsident, herzlich willkommen.
(Allgemeiner Beifall)
Nach unseren intensiven Recherchen in den Archiven sind Sie, lieber Herr Prof. Dr. Lammert, der erste Bundestagspräsident, der während einer Plenarsitzung zu den bayerischen Landtagsabgeordneten spricht. Soweit wir wissen, trifft dies auch für die anderen Landtage zu, abgesehen von Festakten. Jedenfalls sind Sie – das wissen wir jetzt aus eigener Erfahrung – der erste Parlamentspräsident, den wir als Redner in unserem neuen Plenarsaal begrüßen können. Wir sehen in Ihrem Besuch eine besondere Anerkennung und Wertschätzung der Landesparlamente durch den Repräsentanten des Deutschen Bundestages und des Parlamentarismus in Deutschland.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, niedrige Wahlbeteiligungen bei den letzten Landtagswahlen in Hessen und in Niedersachsen sowie bei den Kommunalwahlen in Bayern unterstreichen die entsprechenden Umfragen, deren Ergebnisse man in den Medien nachlesen konnte: Viele Bürgerinnen und Bürger haben immer weniger Vertrauen in Politiker und in politisches Handeln. Das sind keine neuen Entwicklungen. Natürlich sind wir immer bemüht, selbstkritisch unsere Arbeitsabläufe und Strukturen, unsere Debattenkultur und unsere politischen Rituale zu hinterfragen. Bisher haben wir jedoch noch keinen Königsweg gefunden, dem vorbeschriebenen Trend wirksam zu begegnen.
Welche Rolle haben in diesem Zusammenhang die Parlamente? Wie leistungsfähig können sie sein angesichts der stetig steigenden Anforderungen und der parallel dazu steigenden Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger? Diese Fragen sind nicht nur für uns Abgeordnete von Bedeutung. Die Rolle und das Ansehen der Parlamente sind zentral für die Demokratie.
Herr Bundestagspräsident, Sie selbst haben in Ihrer Antrittsrede die Bedeutung der Parlamente so beschrieben. Ich zitiere: „Was ein politisches System als Demokratie qualifiziert, ist nicht die Existenz einer Regierung, sondern die Existenz eines Parlamentes und seine gefestigte Rolle im Verfassungsgefüge wie in der politischen Realität.“ Soweit das Zitat.
Zu einer gefestigten Rolle gehört auch das Vertrauen und Zutrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Kompetenz der politischen Akteure, nach sachgerechten und vor allem auch gerechten Lösungen zu suchen. Eines unserer Werkzeuge in den Parlamenten, Vertrauen in uns und in unsere Entscheidungen zu fördern, sind die föderalistischen Strukturen. Im Zeitalter der Globalisierung müssen wir als Länder und als Bundesrepublik Deutschland, als Landtage und als Bundestag bereit sein, Aufgaben an die nächste Ebene abzugeben, in der die Aufgaben am sachgerechtesten erledigt werden können.
In der Föderalismusreform I sind dafür wichtige Schritte getan worden, auch hinsichtlich der Neuverteilung der Aufgaben zwischen dem Deutschen Bundestag und den Landesparlamenten sowie zwischen Bund und Ländern. Der Bund ist in seiner Handlungsfähigkeit gestärkt worden, die Länder ebenfalls.
Solche Veränderungen setzen die Bereitschaft voraus, politisches Handeln nicht primär als Machtfrage zu verstehen und darauf zu reduzieren, sondern in erster Linie im Hinblick auf Handlung und Verantwortung zu reflektieren. Über die Bedeutung des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in ihre Akteure haben Sie, Herr Bundestagspräsident, in Ihrer Antrittsrede Folgendes gesagt. Ich zitiere: „… denn die Bewältigung der großen Herausforderungen, vor denen unser Land steht – andere Länder übrigens auch –, setzt gerade angesichts weitreichender, vielfach unerwünschter Veränderungen der gewohnten Lebensbedingungen vor allem eines voraus: Vertrauen in die dafür verantwortlichen Institutionen, Vertrauen in die Legitimation, in die Kompetenz und in die Integrität der politischen Akteure.“
Herr Bundestagspräsident, ich bitte Sie, nun zu uns zu sprechen.
(Allgemeiner Beifall)
Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert: Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, Herr Ministerpräsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, verehrte Gäste! Zunächst ganz herzlichen Dank für die freundliche Einladung und die liebenswürdige Begrüßung. Dass ich mich freue, heute bei Ihnen im Bayerischen Landtag zu Gast sein zu können und zu Ihnen und mit Ihnen sprechen zu können, ist zugegebenermaßen keine besonders originelle Einleitung, aber dafür ist es die reine Wahrheit.
Dass ich als Preuße westfälischer Herkunft mit einem langjährigen Dienstort in Bonn und seit einigen Jahren wieder mit dem Dienstort Berlin jemals im Bayerischen Landtag sprechen würde, hätte ich mir trotz hinreichend entwickelten Selbstbewusstseins ernsthaft nur schwer vorstellen können. Deswegen möchte ich mich natürlich auch aus diesem Grunde ganz herzlich bei Ihnen, insbesondere bei Ihrem Präsidenten für die Einladung sehr bedanken, zumal ich weiß, dass der Bayerische Landtag mit Einladungen an Gastredner noch behutsamer und sparsamer umgeht als der Deutsche Bundestag.
Dass Bayern nicht irgendein Land in Deutschland ist, weder historisch noch politisch, weder mit Blick auf Geografie noch Ökonomie noch Kultur, bedarf keiner besonderen Betonung; hier schon gar nicht. Vor einigen Tagen war in den meisten deutschen Zeitungen zu lesen, dass Bayerisch die beliebteste Mundart in Deutschland sei.
(Zuruf: Probieren Sie es nicht! – Heiterkeit)
– Ich habe den Zwischenruf gehört.
(Engelbert Kupka (CSU): Der kommt von der SPD!)
Ich greife ihn auch gerne auf, weil aus der Allensbach-Studie hervorgeht, dass die Bayern selbst zu 77 % in die eigene Sprache ganz verliebt sind, was den Durchschnittswert für Deutschland, den ich gerade zitiert habe, locker mehr als verdoppelt.
Unter all den in dieser Umfrage nachgefragten Dialekten und Mundarten in Deutschland ist die offenkundig unauffälligste das Westfälische. Zwar mögen es nur 7 % aller Befragten besonders, aber umgekehrt geben auch nur 2 % an, es überhaupt nicht leiden zu können. Das halte ich für eine vergleichsweise günstige Ausgangsposition. Ich gehe jetzt einmal davon aus, dass ich nicht mit heftigem Rückenwind rechnen kann, aber mich auch nicht unbedingt auf stürmischen Gegenwind einstellen muss, wenn ich einige der Überlegungen vortrage, von denen ich vermute, dass sie den Bayerischen Landtag in ähnlicher Weise befassen und gelegentlich auch besorgen wie den Deutschen Bundestag.
Im Übrigen ist mir dabei natürlich sehr bewusst, dass der bayerische Staat noch älter ist als der deutsche und dass auch mit Blick auf die Anfänge des Parlamentarismus, dessen Wachsen und Entstehen hierzulande nicht immer nur eine einfache Übung war, die Bayern früher unterwegs waren als manche andere. Immerhin ist es jetzt genau 500 Jahre her, seit im Jahr 1508 die Landstände Bayerns mit der erklärten Landesfreiheit ein größeres Mitspracherecht erhielten. Vor genau 200 Jahren, 1808, hat Bayern seine erste einheitliche Verfassung erhalten, die unter anderem die Gleichheit vor dem Gesetz und beim Zugang zu Staatsämtern sowie die Gewissensfreiheit und die damals gesetzlich noch etwas limitierte Pressefreiheit gewährleistete. Bis zur Eröffnung des ersten Bayerischen Landtags hat es dann zwar noch ein paar Jahre gedauert, aber er ist immerhin 1819 zusammengetreten. Das ist fast 30 Jahre früher als die Frankfurter Paulskirche, in der der erste ernsthafte Versuch, Einheit und Freiheit, Nationalstaat und Parlamentarismus zusammenzubinden, damals gescheitert ist.
Ich habe damit schon die beiden Stichworte angedeutet, über die ich gerne sprechen möchte – zwei Themen, die uns gemeinsam angehen, den Bund wie die Länder und ihre Parlamente zumal: den Föderalismus und den Parlamentarismus. Beide Aspekte sind für unsere Verfassungsordnung konstitutiv. Wir halten sie nicht nur rechtlich, sondern auch politisch für völlig unverzichtbar. Für diese beiden unaufgebbaren Festlegungen unserer Verfassungsordnung gilt bei nüchterner Betrachtung: Sie sind beide nicht sonderlich populär. Es wäre schön, wenn es anders wäre, aber der Blick auf die Realitäten lässt eine andere Beurteilung schwerlich zu.
Was den Föderalismus und seine Akzeptanz in Deutschland angeht, gibt es einige interessante, auch wiederum nicht gänzlich neue Befunde, die in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung deutlich werden, die gerade Anfang dieses Jahres, im Februar fertiggestellt worden ist. Nach dieser Studie hält jeder vierte Bürger in Deutschland die Bundesländer für gänzlich überflüssig. In acht von 16 Bundesländern – das ist immerhin genau die Hälfte – spricht sich die Mehrheit der Befragten für eine Fusion mit mindestens einem Nachbarland aus. Bundesweit, also insgesamt betrachtet, sind 40 % aller Befragten für eine solche Zusammenlegung. Nur 3 % der befragten Bürger in Deutschland denken überhaupt an Landespolitik, wenn sie nach besonderen Merkmalen ihres eigenen Bundeslandes gegenüber anderen Bundesländern gefragt werden.
Um das im Konkreten zu bestätigen, was ich vorhin im Allgemeinen gesagt habe: Bayern ist natürlich anders. Die mit Abstand stärkste Identifikation mit der Landesebene findet sich in einem westdeutschen und interessanterweise auch in einem ostdeutschen Bundesland, nämlich in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern. Die meisten Bundesbürger identifizieren sich nach ihren eigenen Auskünften zuerst mit der Stadt, mit ihrer engeren Heimat, in der sie leben. Danach folgen – das ist interessant – die Bundesebene und die Europaebene. Die Ebene des Bundeslandes wird in mehr als der Hälfte der Bundesländer von den Menschen am wenigsten genannt, wenn es um die Identifikation mit politischen Einheiten geht.
Auch hier fällt Bayern aus dem allgemeinen Befund deutlich heraus. In Bayern ist die Identifikation der Menschen mit dem Land, mit dem Freistaat, fast genauso hoch wie die Identifikation mit der unmittelbaren engeren Heimat, deutlich höher als die Identifikation mit der Bundesebene und nochmals deutlich ausgeprägter als mit der europäischen Ebene.
Nun muss man solche durch Umfragen erhobenen Einschätzungen in ihrer Bedeutung nicht überschätzen. Sie geben allerdings in der Regel schon – gerade weil sie meistens nicht auf sorgfältigem Nachdenken beruhen, sondern spontan erfolgen – reflexhaft Einschätzungen wieder, die die Verhaltensmuster der Menschen prägen. Ich kann jedenfalls zwischen dem Befund und manchen Erfahrungen im real existierenden deutschen Föderalismus manche Parallelen entdecken, einschließlich der Unterschiede, der Identifikation der Menschen mit ihren jeweiligen Ländern, auf die ich gerade Bezug genommen habe.
Der Freistaat Bayern jedenfalls ist ein besonders eindrucksvolles Beispiel für lebendigen Föderalismus und für die Vielfalt in der Einheit, die unser Land so attraktiv macht. Dass es bei uns so viele unterschiedliche Städte, Regionen und Landschaften gibt, so viele Bräuche, Traditionen, Kulturen und Dialekte, macht im wörtlichen Sinn den Reichtum dieses Landes aus und sollte uns gelegentliche Neigungen zur Verzweiflung über Komplizierungen oder auch über Auswüchse des real existierenden Föderalismus mit Gelassenheit ertragen lassen.
Sie alle – das gilt sicher nicht nur, aber ganz besonders auch für den Bayerischen Landtag – dürfen auf dieses Land stolz sein und stolz sein auf die bemerkenswerten Leistungen und Erfolge, die im Freistaat und weit über ihn hinaus für unser deutsches Gemeinwesen erbracht worden sind. Ich finde, das ist auch und gerade richtig unter Berücksichtigung mancher aktueller Probleme und Ärgernisse, mit denen wir uns auch in diesen Tagen auseinanderzusetzen haben.
Ich möchte diesen Hinweis mit einer ganz persönlichen Bemerkung verbinden: Ich gehöre zu denjenigen, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren sind, die fast genauso alt sind wie diese zweite deutsche Republik und die sowohl in ihren persönlichen Lebensbedingungen als auch in ihrer politischen Laufbahn nachweislich auf den Schultern der Männer und Frauen stehen, die dieses Gemeinwesen nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut haben. Ich möchte diese seltene Gelegenheit gerne nutzen, um meinen ausdrücklichen Respekt gegenüber der Gründergeneration zum Ausdruck zu bringen, die unter weiß Gott bescheidenen Bedingungen die Grundlagen für das gelegt hat, was heute vielen ganz selbstverständlich erscheint.
(Allgemeiner Beifall)
Unsere heutige gelegentliche Neigung zu Bequemlichkeit oder zur Resignation angesichts vergleichsweise bescheidener Probleme und Herausforderungen wird geradezu beschämt von dem Mut und dem Engagement einer Generation, die damals Grund gehabt hätte, ihren Neuanfang für aussichtslos zu halten.
Diese Freude und der begründete Stolz auf das Erreichte werden ein wenig durch die allgemeine Missstimmung gegenüber Politik und politischen Institutionen eingetrübt, die auch der Landtagspräsident gerade in seiner Begrüßung angesprochen hat. Weder die Parteien noch die Parlamente, weder die Regierung noch die Opposition befinden sich gegenwärtig auf dem Höhepunkt ihres öffentlichen Ansehens. Es gibt viel unzutreffende, es gibt aber auch manche berechtigte Kritik am Zustand unseres politischen Systems.
Dabei müssen wir hier auch gar nicht über die Zufälligkeiten und Unschärfen von Umfrageergebnissen streiten. Eines wird man nüchtern feststellen müssen: Das, was wir zum Funktionieren einer demokratischen modernen Gesellschaft am dringendsten brauchen, geht zunehmend verloren, nämlich Vertrauen. Dies gilt nicht nur für die Politik – das ist wohl wahr – und nicht nur für Politiker. Es gilt für Unternehmer, es gilt für Banker, es gilt für Sportler, für Funktionäre der unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereiche, es betrifft die Medien, und es macht auch nicht vor den Kirchen halt.
Ich empfehle uns dringend, nicht zu unterschätzen, welcher Gesamteindruck sich in der Öffentlichkeit zunehmend fast ergeben muss, denn, wo immer man hinguckt, immer häufiger werden Erwartungen enttäuscht und wird das Vertrauen nicht bestätigt, das man gerade mit der Übernahme prominenter Aufgaben diesseits und jenseits der Politik – wie ich finde – zurecht verbindet.
Deshalb empfehle ich uns sehr, diesen Sachverhalt ernst zu nehmen. Der Befund, über den wir hier reden, ist keineswegs eine Momentaufnahme. Wir reden nicht über eine vorübergehende Schlechtwetterfront. Wenn überhaupt, so reden wir über climate change, über einen Klimawandel, der sich auch im Verhältnis der Wählerinnen und Wähler gegenüber der Politik seit nunmehr einer beachtlich langen Zeit in einem besorgniserregenden stabilen Trend bemerkbar macht. Er wird in vielen Indizien deutlich. Dazu gehört die auch von Alois Glück genannte, seit Jahren rückläufige Wahlbeteiligung. Dazu gehört auch der nicht zu übersehende bemerkenswerte Verlust der Bindungskraft politischer Parteien, insbesondere der Volksparteien. Alleine die beiden großen Volksparteien in Deutschland haben in den vergangenen 15 Jahren zusammen mehr als eine halbe Million Mitglieder und noch mehr Wähler verloren.
Dieser geringe Anteil an erhaltener, schon gar wachsender Bindungskraft führt, kombiniert mit der rückläufigen Wahlbeteiligung, zu einem außerordentlich ernüchternden Befund: Die Partei der Nichtwähler ist inzwischen die politische Gruppierung in Deutschland mit den höchsten Zuwachsraten.
Dennoch – und gerade deshalb – müssen wir sorgfältig zwischen der Zustimmung zur Demokratie als Staatsform und der Kritik an der Arbeit demokratischer Institutionen und den konkret stattfindenden politischen Ereignissen unterscheiden. Diese Kritik ist im Übrigen nicht nur erlaubt, sie ist auch notwendig, auch wenn nicht jede Kritik berechtigt und in Art und Umfang überzeugend ausfallen muss. Der bekannte Göttinger Politikwissenschaftler Franz Walter hat in diesem Zusammenhang einmal bündig festgestellt, dass wir uns "am Abschluss der klassischen parlamentarischen Epoche" befinden. Das ist eine starke Formulierung. Auch der amtierende Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat kürzlich öffentlich den, wie er das nennt, Bedeutungsverlust der Parlamente beklagt und dies um die Besorgnis ergänzt, wir hätten es mit einem „verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Verfallsprozess“ zu tun. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist starker Tobak und stammt von Leuten, deren Einschätzung es sich im Allgemeinen als ernst zu nehmen empfiehlt. Man kann dem sicher auch mit dröhnendem Selbstbewusstsein entgegentreten, als sei ausgeprägtes und unerschütterliches Selbstbewusstsein schon eine hinreichende Kompensation gegenüber starken und unerfreulichen empirischen Belegen.
Aber ich will diesen beiden, beispielhaft aus der Wissenschaft und aus der obersten Rechtsprechung genannten, kritischen Einschätzungen auch eine auffällig gegenteilige Einschätzung gegenüberstellen. Sie stammt vom langjährigen Leiter des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Armin von Bogdandy. Er hat einmal zum gleichen Sachverhalt genau umgekehrt festgehalten:
Nach der herrschenden Lehre ist die Geschichte des zeitgenössischen Parlamentarismus eine Verfallsgeschichte: weniger Macht, geringere Kompetenzen, verschwindendes Ansehen. – Tatsächlich aber ist der Parlamentarismus in den zurückliegenden Jahrzehnten von Erfolg zu Erfolg geeilt.
Was ist denn nun eigentlich richtig? – Ich beginne zunächst einmal mit dem vermittelnden Vorschlag, dass die Behauptung vom Ableben des Parlamentarismus ebenso übertrieben ist wie die Vermutung einer unaufhaltsamen Erfolgsgeschichte. Wie auch sonst im richtigen Leben ist bei einem genauen und nüchternen Blick die Sache nicht ganz so spektakulär, wie das die Formulierungen in manchen wissenschaftlichen und weniger wissenschaftlichen Publikationen vermuten lassen. Die Realität im Allgemeinen ist eher grau, und die Wirklichkeit spielt sich nicht tagtäglich in großen Ereignissen ab, sondern sie schlägt sich in der Abarbeitung von Alltagsanforderungen nieder. Dabei wird man auch, und gerade was die Funktion und die Leistungsfähigkeit von Parlamenten angeht, fairerweise nicht übersehen dürfen, dass die Anforderungen, denen sie sich heute ausgesetzt sehen, die Landtage wie der Bundestag – und das Europäische Parlament übrigens auch –, nicht nur anders als früher sind, sondern höher, größer als früher sind.
Ein so unverdächtiger, erfahrener und kluger Beobachter wie Hans-Jochen Vogel, der Erfahrungen in der Kommunalpolitik, in der Landes- und in der Bundespolitik hat, dessen größter Teil seiner eindrucksvollen politischen Karriere mit diesem Freistaat besonders eng verbunden ist, der in Regierungsämtern und in Gesetzgebungsorganen über eine jahrzehntelange Erfahrung verfügt, hat gerade im Kontext dieser Auseinandersetzung einmal darauf hingewiesen, früher sei vieles wesentlich einfacher gewesen. Heute – und ich finde, das ist ein beachtlicher Gesichtspunkt – sei die Wahrung von Wohlstand und sozialer Sicherung bei rückläufiger Bevölkerungszahl und zunehmender Überalterung unter den Wettbewerbsbedingungen der Globalisierung eine neue und große Herausforderung, die es früher so nicht gegeben habe. Die Erwartungen der Öffentlichkeit im Umgang mit diesen Problemen sind allemal ausgeprägter als die tatsächlichen Gestaltungsspielräume, die sowohl bei den Regierungen als auch bei den Parlamenten regelmäßig sehr viel enger sind, als die Öffentlichkeit in den großzügigen Entwürfen erhofft und gelegentlich vermutet.
Große Koalitionen – wenn ich mir diese Wasserstandsmeldung aus Berlin erlauben darf – machen das Finden von gemeinsamen Lösungen nicht unbedingt einfacher, sondern eher schwieriger. Große Koalitionen haben große Mehrheiten für das Durchsetzen von Lösungen, die sie aber leider aus dem gleichen Grund nur selten finden. Das macht wiederum einen erheblichen Teil der operativen Probleme in der Gestaltung von Politik und schon gar in der Vermittlung von Politik gegenüber den Wählerinnen und Wählern aus. Es ist im Übrigen auch schwer zu übersehen, dass die konkreten Erwartungen an Regierungen und Parlamente sich nicht selten wechselseitig ausschließen, weil das, was die einen für absolut dringlich halten, die anderen mit Sicherheit für unzumutbar erklären und umgekehrt. Auf diese Weise werden durch Festhalten an gewohnten Verhältnissen und liebgewordenen Besitzständen genau die Veränderungen verhindert, deren Ausbleiben die Wähler anschließend Parteien, Parlamenten und Regierungen vorwerfen.
Die meisten Menschen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wissen durchaus, dass Veränderungen unvermeidlich sind. Sie erwarten aber, dass es dabei gerecht zugeht. Gerechtigkeit ist nach meinem ganz persönlichen Empfinden das große Thema moderner Gesellschaften überhaupt. Nachdem sich im Wettbewerb der Systeme, der nun entschieden ist, liberale Demokratie und marktwirtschaftliche Ordnung gegen autoritäre und totalitäre Ordnungen durchgesetzt haben, empfinden die meisten Menschen ihre Freiheit in der Regel nicht mehr als bedroht. Diese halten sie für gesichert. Bedroht sehen sie vielmehr die Gerechtigkeit bei der Entwicklung von Lebensverhältnissen und Entwicklungsperspektiven. Da dies völlig unbeschadet von der Frage geschieht, ob das eine hinreichende, vollständige und wirklichkeitsnahe Erwartungshaltung ist, empfiehlt es sich für Parteien wie für Regierungen und Parlamente sehr, sich redlich Mühe zu geben, dieser Erwartung gerecht zu werden. Sonst verlieren sie nämlich nicht nur Sympathie, sondern sie verlieren auch Vertrauen.
Parlamente, meine Damen und Herren, müssen gewiss lernfähig sein, ebenso wie Regierungen. Für die Parteien gilt das ganz gewiss. Sie sollten aber nicht wankelmütig sein. Mit Abstand wichtiger und wirksamer als die schwankende Popularität einer Politik ist ihre Glaubwürdigkeit. Was die Politik an Glaubwürdigkeit verliert – wodurch auch immer –, durch Wankelmütigkeit, durch Wortbruch, durch Gleichgültigkeit, durch Beliebigkeit – warum auch immer –, kann sie an Popularität weder gewinnen noch ausgleichen. Wenn mich mein Eindruck über die, vorhin vom Landtagspräsidenten angedeutete und von mir nun etwas entfaltete, Vertrauenskrise, die es zweifellos gibt, nicht täuscht, dann glaube ich, legt das die Schlussfolgerung nahe, dass wir alle, nicht nur die Politiker, aber die Politiker ganz gewiss, möglicherweise bescheidener in unseren Ankündigungen werden sollten, dafür aber anspruchsvoller in den Zielen und mutiger in den Entscheidungen.
(Allgemeiner Beifall)
Streit ist nicht nur erlaubt, sondern im Ringen um die beste Lösung unverzichtbar. Er sollte aber immer an der Sache orientiert sein. Er muss Diffamierungen und Übertreibungen vermeiden.
Die Politik kann im Übrigen immer nur so gut sein wie die Leute, die sich für das Gemeinwohl zur Verfügung stellen. Buh-Rufe von den Zuschauerplätzen sind zwar auch erlaubt, ersetzen aber nicht das eigene Engagement. Jeder, der sich für die Politik für zu gut hält, muss wissen, dass er sie damit anderen überlässt, die er selbst für schlechter hält.
(Heiterkeit und Beifall bei der CSU und bei Abgeordneten der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die meisten prinzipiellen Vorbehalte und Vorwürfe gegenüber dem Parlamentarismus sind weder neu noch überzeugend. Es ist natürlich nicht zu bestreiten, dass die öffentlichen Debatten über wichtige und manchmal auch weniger wichtige Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft weder ausschließlich noch immer zuerst in den Parlamenten stattfinden. Nachfragen wird man allerdings müssen, ob dies zum einen überhaupt nötig und zum anderen jemals anders gewesen ist. Die Vorstellung, dass alles und jedes, was von politischer Bedeutung ist, in erster Linie im Parlament und vor allen Dingen in jedem Fall zuerst dort stattfinden müsse, ist weder wirklichkeitsnah noch sinnvoll. Wenn man neben dem Interesse an öffentlichen Diskursen auch noch ein Restinteresse an Ergebnissen dieser Diskurse hat, kommt man vernünftigerweise zu neuen Einsichten: dass nämlich manche Entscheidungen vorbereitet werden müssen, wenn sie überhaupt zustande kommen sollen, und dass das große öffentliche Palaver nicht um so sicherer zu den gewünschten Ergebnissen führt, desto lautstärker und öffentlichkeitswirksamer es vorher inszeniert worden ist.
(Beifall bei der CSU)
Dass ein beachtlicher Teil des politischen Entscheidungsprozesses nicht auf der Vorderbühne, sondern in den Kulissen stattfindet, ist für viele Beobachter ein Ärgernis; das ist mir wohl klar. Das ist aber die Voraussetzung dafür, dass Kompromisse überhaupt möglich werden, von denen Georg Simmel einmal gesagt hat, sie gehörten zu den größten Errungenschaften der Menschheit. Das mag man für eine übertrieben pathetische Formulierung halten, das ist aber in jedem Fall eine unaufgebbare Errungenschaft. Eine Gesellschaft, die nicht mehr kompromissfähig ist, wäre weder eine humane noch eine freiheitliche Gesellschaft. Also muss ein politisches System, das sich von seinem Grundverständnis her als Ordnungsrahmen einer freiheitlichen Gesellschaft versteht, die Voraussetzungen dafür schaffen und erhalten, dass Kompromisse möglich bleiben oder möglich werden.
Die Aufgaben der Parlamente haben sich nicht nur in Deutschland in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sicher gewandelt, und sie sind ganz gewiss nicht geringer geworden. Das gilt im innerstaatlichen Verhältnis wie im europäischen Zusammenhang. Der Lissabonner Vertrag, der in wenigen Wochen nicht nur im Bundestag und Bundesrat ratifiziert wird, sondern hoffentlich auch in allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, stärkt die Rolle der Parlamente im europäischen Entscheidungsprozess – eine überfällige Korrektur von dessen Sitten mit Blick auf die demokratische Verfassung der Europäischen Gemeinschaft, für die wir alle miteinander über viele Jahre hinweg gemeinsam eingetreten sind.
Für die Föderalismusreform gilt im Übrigen präzise das Gleiche. Man mag gegenüber den Ergebnissen der Föderalismusreform manche Vorbehalte haben – da fielen mir auch ein paar Hinweise ein –, aber dass diese Föderalismusreform die Rolle der Parlamente geschwächt hätte, kann man beim besten Willen nicht erkennen, ganz im Gegenteil: Durch die eindeutigere Zuweisung von Zuständigkeiten und die damit verbundene Stärkung auch der Rolle der Landtage im jeweiligen eigenen Zuständigkeitsbereich der Länder ist die Aufgabenstellung und die Verantwortung der Parlamente gewachsen und keineswegs diminuiert worden.
(Beifall bei der CSU)
Ich will allerdings auch unter dem Eindruck der tatsächlichen Folgen der gerade verabschiedeten Föderalismusreform den vorsichtigen Hinweis geben, dass es vor allem unter diesem Gesichtspunkt auch hilfreich wäre, wenn Landesregierungen und Landtage noch tapferer der Versuchung widerständen, die Aussicht auf finanzielle Beteiligung des Bundes für noch interessanter zu halten als die gerade frisch gewonnenen, neuen eigenen Kompetenzen.
(Beifall bei der CSU)
Das bringt mich zum vorletzten Punkt, auf den ich gerne zu sprechen kommen möchte, nämlich zur originären Gesetzgebungskompetenz der Parlamente. In diesem Zusammenhang gibt es einen in der Literatur, in der Berichterstattung, in der öffentlichen Wahrnehmung immer wieder erhobenen Vorwurf, der lautet, dass die Parlamente ihre Gesetzgebungskompetenz immer weniger wahrnähmen. Dieser Vorwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist gleich doppelt abwegig. Er ist zum einen abwegig, weil sich die Funktion von Parlamenten schon unter den Bedingungen moderner parlamentarischer Systeme keineswegs auf die Aufgabe der Gesetzgebung reduziert und auch um Gottes willen nicht auf diese Aufgabe reduziert werden darf. Zum anderen nehmen die Parlamente die Aufgabe der Gesetzgebung nach wie vor in einem eher erschreckenden Umfang wahr. Von einem Rückzug aus der Gesetzgebung kann bei jeder nüchternen Betrachtung und bei allerbestem Willen keine Rede sein.
In Deutschland befinden wir uns gegenwärtig geradezu auf dem Höhepunkt einer politischen Kultur, die Sachverhalte überhaupt erst dann für geregelt hält, wenn sie durch Gesetz geregelt werden. Wenn wir mehr Zeit hätten, als wir vernünftigerweise für eine solche gemeinsame Beschäftigung in Unterbrechung Ihrer sonstigen Aufgaben der heutigen Tagesordnung freiräumen können, könnten wir der Reihe nach sämtliche Politikfelder in Deutschland durchgehen, angefangen vom Schul- und Hochschulsystem über den Arbeitsmarkt, den sozialen Sicherungssystemen im Allgemeinen bis hin zu den Rahmenbedingungen der Förderung und Entwicklung von Familien in Deutschland, von der Energieversorgung bis zum Umweltschutz, von der Bildung bis zur Kultur, die sich für besonders staatsfern hält – wir könnten dutzendweise die Gesetzgebungsanforderungen aufführen, denen deutsche Parlamente leider mit erschreckender Regelmäßigkeit nachkommen.
Ich mache überhaupt kein Hehl aus meiner festen, in mehr als einem Vierteljahrhundert parlamentarischer Erfahrung gewachsenen Überzeugung, dass deutsche Parlamente nicht zu wenig, sondern zu viel Gesetzgebung machen
(Beifall bei der CSU)
und dass wir immer wieder von diesem Virus befallen sind, Themen, die fraglos bedeutend sind, erst dann für erledigt zu halten, wenn wir sie in Gesetzesform gegossen haben.
Im Übrigen – diese Erfahrung werden viele von Ihnen teilen – regeln Gesetze immer angenommene Durchschnittsfälle. Genau diese Durchschnittsfälle kommen leider im richtigen Leben nicht vor, sodass wir, kaum dass ein Gesetz die angenommenen Durchschnittsfälle geregelt hat, über unsere Sprechstunden oder über Petitionen mit den tatsächlichen Fallkonstellationen konfrontiert werden und regelmäßig mit der erstaunten, meist dann auch empörten Nachfrage, ob das denn ernsthaft so gemeint gewesen sei. Die ehrliche Auskunft lautet dann regelmäßig: natürlich nicht. Und schon beginnt der Novellierungsprozess für das gerade abgeschlossene Gesetzgebungsverfahren, das vielleicht besser von vornherein unterblieben wäre.
(Heiterkeit und Beifall bei der CSU)
Das Nichtraucherschutzgesetz ist vermutlich nicht das letzte auffällige Beispiel einer solchen langen Serie.
(Heiterkeit bei der CSU – Franz Maget (SPD): Aber das beliebteste!)
Niemand wird auf den Einfall kommen, ich hätte dabei irgendjemanden ganz besonders im Auge; denn es ist zunächst einmal im Deutschen Bundestag gegen meinen verzweifelten und nicht ausreichenden Widerstand verabschiedet worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir in einer Gesellschaft, die so verfasst ist, wie sie ist, nicht nur Parlamente, sondern auch das Fernsehen haben und dass nicht nur in Parlamenten, sondern auch im Fernsehen über Politik geredet wird,
(Engelbert Kupka (CSU): Zerredet!)
mag man je nach Betrachtungsweise als Bestätigung der Verfallstheorie wahrnehmen oder auch nicht.
Die inzwischen hoffnungslos inflationären Fernsehtalkshows sind jedenfalls nach meiner persönlichen Einschätzung weder immer unterhaltsam noch in der Regel politisch bedeutsam.
(Beifall bei der CSU – Hans Spitzner (CSU): So ist es!)
Geredet wird dort immer viel, entschieden wird regelmäßig nichts.
(Beifall des Abgeordneten Hans Spitzner (CSU))
Entschieden wird in den Parlamenten. Deswegen besteht für Minderwertigkeitskomplexe überhaupt kein Anlass. Mein besonderer Respekt gilt den Kolleginnen und Kollegen, die der Versuchung, sich an diesen Unterhaltungssendungen zu beteiligen, tapfer widerstehen.
(Beifall bei der CSU – Manfred Ach (CSU): Sehr gut!)
Unsere Parlamente sind nicht immer so gut, wie sie sein könnten. Sie sind nicht immer so selbstbewusst, wie sie gelegentlich sein sollten. Sie sind aber allemal wichtiger und einflussreicher als die meisten Sendungen und Sitzungen, die sich größerer öffentlicher Aufmerksamkeit erfreuen.
(Beifall bei Abgeordneten der CSU)
Bei aller Neigung und Begabung zur Selbstkritik fallen mir weder im historischen noch im internationalen Vergleich mehr als eine Handvoll Parlamente ein, die einen ähnlichen Einfluss auf die Bildung und Kontrolle der Regierung, die Gesetzgebung und die Bildung der öffentlichen politischen Meinung haben als die Parlamente in Deutschland.
Ganz zum Schluss möchte ich eine Bemerkung zur jungen Generation machen, an deren Interesse und Engagement für viele wichtige, manchmal auch nicht ganz so wichtige Dinge kein ernsthafter Zweifel erlaubt ist, bei der wir aber auch nicht übersehen dürfen, dass das vorhin im Allgemeinen festgestellte begrenzte Vertrauen gegenüber politischen Institutionen und vor allem gegenüber den Parteien eine ganz besonders starke Ausprägung findet. Attraktiv erscheinen für junge Leute insbesondere Institutionen, die mit Politik wenig und mit Parteien gar nichts zu tun haben. Das muss uns nachdenklich stimmen. Denn es ist zweifellos keine Errungenschaft, es ist aber auch kein Naturgesetz. Deswegen wäre es nicht nur schön, sondern dringend nötig, dass mehr junge Leute als heute die öffentlichen Angelegenheiten für ihre Angelegenheiten halten. Über welche Themen wir auch immer reden und gelegentlich entscheiden, ob es Themen des Arbeitsmarktes, der Zukunft unserer sozialen Sicherung sind oder ob es auch ein scheinbar so abstraktes Thema wie die Zukunft des europäischen Verfassungsvertrages ist, wir verhandeln nicht über abgehobene abstrakte öffentliche Angelegenheiten, sondern wir verhandeln über die Zukunftsperspektiven von lebenden Menschen. Niemand ist von diesen Zukunftsperspektiven mehr und länger betroffen als die heute junge Generation.
Roman Herzog, unser früherer Bundespräsident, hat einmal gesagt: Es gibt viele demokratische Tugenden, Bequemlichkeit gehört nicht dazu. Das ist ein kluger Satz. Er gilt nicht nur für das Verhältnis der Bürger zu ihrem Staat. Er gilt auch für das Verhältnis der Politik gegenüber der Gesellschaft. Er gilt im Übrigen auch für das Verhältnis von Parlamenten gegenüber Regierungen. Die erste demokratische Tugend ist Verantwortung, Verantwortung für sich selbst und Mitverantwortung für das eigene Land. Parlamente und Parlamentarier müssen diese Verantwortung beispielhaft wahrnehmen. Das gelingt nicht immer, es gelingt auch nicht immer gleich gut. Dass es aber in diesem Land, in diesem Freistaat und in dieser Republik seit gut 60 Jahren eine für deutsche historische Verhältnisse so beispiellos lange Zeit im Ganzen mit einem so vorzeigbaren Erfolg gelungen ist, ist ein Anlass, Dank und Respekt gegenüber all denjenigen zu sagen, die dazu beigetragen haben und es hoffentlich auch in Zukunft weiter tun werden. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Lang anhaltender allgemeiner Beifall)


Präsident Alois Glück: Herr Bundestagspräsident, herzlichen Dank für diese Rede. Das war und ist eine gute Stunde für den Bayerischen Landtag und für den Parlamentarismus in Deutschland. Herzlichen Dank dafür.
Ich darf Sie nun bitten, sich in das Ehrenbuch des Bayerischen Landtags einzutragen. Anschließend wird die Sitzung kurz unterbrochen. Es geht dann mit den Ersten Lesungen weiter.
(Unterbrechung von 10.36 Uhr bis 10.40 Uhr)


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