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Zölibat statt Seelsorge?
Beitrag in „Die Zeit“ vom 27. Januar 2011
Die Zuschriften sind zahlreich, oft kurz und heftig:
„Der unsägliche Kirchenrechtsparagraph, der den Zwangszölibat fordert, kann eine Menschenrechtsverletzung genannt werden.“
„Ich möchte an Ihr Gewissen appellieren, die katholischen Laien nicht zu verunsichern und gegen ihre Heilige Kirche aufzuhetzen.“
„Fasziniert und gleichzeitig mit Befremden wundere ich mich darüber, dass sich Politiker in solche Kircheninterna, wie den Zölibat und Priesterberufe, einmischen.“
Nein, wir sind nicht „gegen den Zölibat“, schon gar nicht „gegen die Bischöfe“, die wir auch nicht mit „Forderungen“ konfrontieren, sondern mit einer Bitte. Und diese dringende Bitte ist entstanden aus lebenslanger kirchlicher Verbundenheit, tiefer Sorge und wachsender Ungeduld.
Wir sind ein Kreis politisch engagierter, katholischer Christen, die sich seit mehr als 30 Jahren immer wie¬der in der öffentlichen Diskussion zu politischen und kirchlichen Grundsatzfragen zu Wort gemeldet haben. Wir sprechen nicht im Namen einer Partei, auch nicht für „die“ Katholiken, sondern für uns - und wie die Reaktionen auf unseren Brief zeigen, für viele engagierte Laien und Priester. Nicht aus einer spontanen Laune, sondern nach gründlicher Befassung halten wir es für dringend geboten, die deutschen Bischöfe im Lichte der besorgniserregenden Zunahme des Priestermangels zu bitten, die Zulassung von viri probati, also bewährten verheirateten Männern, zur Priesterweihe zu ihrem eigenen Anliegen zu machen und sich dafür in der Gemeinschaft der Bischöfe der Weltkirche und vor allem in Rom mit Nachdruck einzusetzen. Gegebenenfalls sollte auch eine regionale Ausnahmeregelung für Deutschland in Erwägung gezogen werden. Alle, zum Teil durchaus berechtigten Gründe, an der bisherigen traditionsrei¬chen, wenn auch nicht durch ein Gebot Christi unab¬weisbaren Praxis festzuhalten, wiegen unseres Erachtens nicht so schwer wie die Not vieler priester¬loser Gemeinden, in denen die sonntägliche Messfeier nicht mehr möglich ist, und die wachsende Gefahr, dass die wenigen, noch zur Verfügung stehenden Priester, denen unsere Hochachtung und Solidarität gehört, sich in ihrem Bemühen, ständig zunehmender Belastung gerecht zu werden, aufreiben.
Zur Verdeutlichung der Entwicklung und der aktuellen Situation nur wenige Zahlen: 1960 waren knapp 15.500 Geistliche in der Pfarrseelsorge tätig, derzeit sind es noch 8.500. Gerade noch 150 Männer wollten 2010 in Deutschland katholische Priester werden, 2006 waren es noch 211. Tatsächlich hält der Abwärtstrend schon länger an: In den vergangenen zehn Jahren hat die katholische Kirche nicht weniger als 20 Prozent ihrer aktiven Priesterschaft verloren. In vier Jahren – so schätzt das Erzbistum Köln – können voraussichtlich etwa 60 Priesterstellen nicht mehr besetzt werden. Das Erzbistum Paderborn hat bereits 2009 angekündigt, dass die Pastoralverbünde von 213 auf 100 zu reduzieren sind, im Ruhrgebietsbistum Essen sollen 100 von 350 Kirchen geschlossen werden.
Die durch den Priestermangel unvermeidliche Zusammenfassung früherer selbständiger Pfarreien führt zu Größenordnungen, die noch vor wenigen Jahren für undenkbar, jedenfalls unvertretbar, gehalten wurden. In einer Großpfarrei wie Gelsenkirchen-Buer zum Beispiel gibt es heute 40.000 Kirchenmitglieder. Wie soll da eine persönliche Seelsorge möglich sein?
In einer der größten deutschen Diözesen, dem Bistum Münster, wurden im vergangenen Jahr erstmals in der über tausendjährigen Bistumsgeschichte mehr Bischöfe (drei) geweiht als Priester (zwei).
Wer angesichts dieser Situation weiter eisern am überkommenen Pflichtzölibat festhält, führt die Gemeinden sehenden Auges in den seelsorgerischen Notstand. Und die Schmerzgrenze ist fast überall längst erreicht.
Das Problem ist nicht neu, und die Debatte auch nicht. Wir erinnern unsere Bischöfe an ihre während der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesre¬publik Deutschland, die von 1971 bis 1975 im Dom zu Würzburg tagte, diesbezüglich gegebene Zusage.
Wenn die Kirche „in Zukunft über längere Zeit durch akuten Priestermangel gezwungen sein sollte, die Leitung vieler Gemeinden ... Laien anzuvertrauen“, dann bleibe auf längere Sicht gar nichts anderes übrig, als viele „der Laien, die sich im Gemeindedienst bewährt haben, als viri probati für die Ordina¬tion“ zuzulassen. So der heutige Kardinal Kasper vor 40 Jahren in seiner Einleitung zur Beschlussfassung „Pastorale Dienste“.
Seit damals sind die Problem nicht kleiner, sondern größer geworden. Wir begrüßen, dass in letzter Zeit einige Bischöfe (Bamberg, Hamburg, Salzburg, Sitten) in mehreren europäischen Ländern öffentlich die Priesterweihe von viri probati zur Diskussion gestellt haben. Auch unter den Dogmatikern und Fundamentaltheologen gibt es seit Jahrzehnten ein vielstimmiges Plädoyer für die Weihe von viri probati zu Priestern, ohne dass daraus bisher praktische Konsequenzen gezogen worden wären. So hat zum Beispiel unser heutiger Papst Benedikt XVI., schon 1969, im Hinblick auf das Jahr 2000 gemeint: „Die Kirche der Zukunft wird klein werden... Sie wird auch gewisse neue Formen des Amtes kennen und bewährte Christen, die im Beruf stehen, zu Priestern weihen“.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat einst mit Blick auf die Ostkirche unmissverständlich festgehalten: „Das Wesen des Priestertums erfordert das Eheverbot nicht“. So auch der Freiburger Erzbischof und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch, der noch vor drei Jahren öffentlich erklärte, der Zölibat sei „theologisch nicht notwendig“, wenn auch gewiss „ein Geschenk“. Zur aktuellen Diskussion trug Altabt Odilo Lechner, der lange Jahre der bayerischen Benediktinerkongregation vorstand, die Empfehlung bei, den Zölibat „zu überdenken“; die freiwillige Ehelosigkeit sei zwar ein hoher Wert, man müsse aber fragen, ob man deswegen Gemeinden ohne Priester lassen dürfe.
Die Frage beantwortet sich fast von selbst. Fast.
Sicher, es gibt gute, durchaus beachtliche Gründe für den Zölibat. Der Zölibat schafft eine Freiheit für den priesterlichen Dienst, sich unabhängig von Pflichten des Ehemanns oder Vaters voll und ganz der Seelsorge zu widmen. Aber wie schwer wiegt dieses Argument in einer Situation des akuten Priestermangels, in der immer weniger Priester immer mehr Gläubige zu betreuen haben?
Ohne Frage haben wir in Deutschland längst eine außerordentliche pastorale Notsituation. Vielen Gläubigen wird bereits heute ihr Recht auf die sonntägliche Messfeier vorenthalten oder ihr Wunsch unverhältnismäßig erschwert. Eine Reform der Gemeindestrukturen allein kann nicht die einzige Reaktion auf den Priestermangel sein. Und schon gar nicht die scheinbar großzügige Ausnahmeregelung für Priester und Bischöfe der anglikanischen Kirche, die nach ihrem Übertritt als Verheiratete weiter priesterliche Aufgaben in der Katholischen Kirche wahrnehmen dürfen. Prof. Dr. Hans-Joachim Meyer, der langjährige Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, vermutet sicher zu Recht, die Debatte um den Zölibat „wird nicht aufhören, weil sie nämlich von der Realität selbst auf die Tagesordnung gesetzt wird.“
Der Beschluss der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im letzten Jahr, einen breit angelegten Dialogprozess zu beginnen und dadurch verloren gegangenes Vertrauen zurück zu gewinnen und Fel¬der einer Kirchenreform abzustecken, ist ermutigend. Zumal der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Zollitsch, den Wunsch ausgesprochen hat, über die Themen zu sprechen, die für das Leben der Kirche in Deutschland von besonderer Dringlich¬keit sind. Bistümer, Gemeinden, auch Men¬schen, die nicht in der Kirche aktiv sind, sind aufgerufen, sich daran zu beteiligen.
Diese Einladung nehmen wir an, und wir nehmen sie ernst.
Laut einer Umfrage von infratest sind 87 Prozent der Deutschen der Ansicht, ein Eheverbot für das Priesteramt sei nicht mehr zeitgemäß. Ein Argument ist das nicht, aber ein Hinweis. Die damit verbundenen Fragen nicht nur zuzulassen, sondern zu beantworten, wäre auch ein Signal dafür, dass die katholische Kirche in der Lebenswirklichkeit der Menschen ankommt.
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