Haendel, Acis und Galatea
Berlin, Staatsoper Unter den Linden
An dieser Produktion stimmt alles: das selten gespielte Stück, die überzeugende Inszenierung, das originelle Bühnenbild, die glänzenden Sänger, das präzise Orchester.
Das kleine Ensemble um die Regisseurin Jenny Erpenbeck und die Akademie für Alte Musik Berlin unter Leitung von Marcus Creed führen vor, was Hauptstadt-Theater auch ohne die großen Stars leisten kann. Neben der selbstverständlichen Pflege des Repertoires und der kontinuierlichen Förderung zeitgenössischer Autoren und Komponisten sind die vergessenen Meisterwerke wiederzuentdecken. G. F. Händels "Acis und Galatea" gehört offensichtlich dazu. Das etwas seichte Libretto auf der Basis eines mythologischen Stoffs aus Ovids "Metamorphosen" ist von der modernen Wirklichkeit weit entfernt und erklärt hinreichend, warum das Stück aus dem Spielplan verschwunden ist. Die Berliner Inszenierung weist nach, warum es wieder einen festen Platz im Repertoire verdient. Die halbszenische Aufführung präsentiert die hoffnungslos wirklichkeitsfremde Story der vom eifersüchtigen Polyphem bedrohten Liebe eines Schäfers zu einer Nymphe phantasievoll und witzig, aber nie albern, benötigt dafür keine Kostüme und wenige Requisiten, ein sparsames Bühnenbild und eine geschickte Beleuchtung, die das barocke Ambiente der Staatsoper wirkungsvoll einbezieht. Dies trägt zur Konzentration auf die kaum bekannte Musik eines berühmten Komponisten bei, der auch als Gelegenheitsarbeiten Meisterwerke ablieferte. Und so erhält die Staatsoper mit vergleichsweise geringem Aufwand ein beachtliches Kleinod für ihren Spielplan.

"König Lear" von William Shakespeare
Berlin, Sophiensäle
In den ersten fünf Minuten hat man vom Stück noch nichts gesehen, aber fast die ganze Tragödie bereits gehört. Eine einsame Trompete (Johannes Bauer) bellt, schreit und weint in verzweifelt verstümmelten Fanfaren das ganze Elend des alten Lear in die Welt.
Das Bühnenbild (Mark Lammert) ist so sparsam wie die Musik, wenn auch nicht ganz so wirkungsvoll. Zwei in Kreisen drapierte einfallslose Gardinen, aus denen sich - den beiden Reichshälften der Erbtöchter entsprechend, eine Bedeutung simulierend, die sie nicht haben - belanglose Kulissen schie-ben lassen.
Die strenge Inszenierung Thorsten Lensings gibt den Schauspielern kaum Gelegen-heit zu glänzen; sie werden weniger als Schau-Spieler, sondern als Sprecher gebraucht, die gelegentlich statt des Original-Textes eine Erläuterung der gestrafften Handlung vortragen. Nur Matthias Habich glänzt, je mehr sein Lear dem Wahnsinn verfällt - als ob das Verrücktwerden die erfolgreiche Flucht aus dem Elend wäre. Die Darsteller spielen selten miteinander, sondern meist mit sich selbst und dem Zuschauer. Das, was man schon immer von Lear gewusst hat und begriffen zu haben glaubt, wird ohne jedes Pathos, manchmal provozierend lakonisch vorgetragen und zugleich in Frage gestellt.
Für mich Lensings bisher überzeugendste Arbeit - Shakespeare mit den Mitteln des Brecht-Theaters. Es geht auch anders, doch so geht es auch. Ein starkes Stück.

Premiere: FIDELIO von Ludwig van Beethoven
Deutsche Oper Berlin - Charlottenburg am 27. Februar 2002
Wer – wie ich – immer schon Zweifel daran hatte, ob es sich bei Beethovens einziger Oper FIDELIO um einen Geniestreich oder eher um einen Fehlversuch handelt, der auch den größten Geistern gelegentlich unterläuft, dem kann geholfen werden: Die Neuinszenierung in der Deutschen Oper räumt mit einer deprimierenden Gründlichkeit mit der Erwartung auf, bei dieser von Beethoven selbst mehrfach überarbeiteten Oper handele es sich um einen großen Wurf. Alle Schwächen des Librettos, die Sentimentalitäten wie das Pathos werden in der belanglosen Inszenierung von Christof Nel erbarmungslos ausgestellt, die Solisten versuchen mit großem Eifer zu retten, was nicht zu retten ist, und das Orchester hält das bescheidene Niveau (man mag nicht glauben, dass es sich um dieselben Musiker handelt, die man kürzlich erst mit ihrem Chef Christian Thielemann bei einem grandiosen Bruckner-Abend gehört hat). Und wenn das alles nicht in Berlin stattfände, müßte man es für das traurige Musterbeispiel einer Provinzaufführung halten. Beethoven wird‘s überleben. Sogar sein FIDELIO.

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