Götterdämmerung
Staatsoper Berlin, März 2013
Selten war von der "Götterdämmerung" so viel zu hören und so wenig zu sehen wie in der abschließenden Gemeinschaftsproduktion des Rings der Nibelungen durch die Berliner Staatsoper und die Mailänder Scala.

Der technische Aufwand einer ununterbrochenen Laser- und Videoshow ist deutlich höher als der konzeptionelle Ehrgeiz der Inszenierung, die nichts erzählt, was man nicht ohnehin weiß, und manches vermittelt, was man nicht wirklich braucht. So bewegen sich Siegfried und Brünhilde, Hagen und Gunther ebenso tapfer wie hilflos in einer bunten, blinkenden Kulisse, die jede Nobeldisko in den Schatten stellt. Das hat man an manchen kleineren Häusern bescheidener, aber eindrucksvoller gesehen.

Wäre nicht Daniel Barenboim mit seiner grandiosen Staatskapelle in bestechender Form, könnte man wie die Helden des Dramas schier verzweifeln. So bleibt eine musikalische Interpretation in Erinnerung, die höchsten Ansprüchen genügt und neue Maßstäbe setzt. (Und die Hoffnung, dass die Staatsoper unter den Linden nach dem kostspieligen Umbau eine mindestens gleich gute Akustik hat wie das Schiller- Theater als verblüffend gut klingendes Provisorium...)

Die Liebe zu den drei Orangen (Sergej Prokofjew)
Deutsche Oper Berlin, 09.12.2012
Es ist selten das Libretto, das Opernliebhaber ins Musiktheater führt. Nicht selten muss die Komposition mit ihrer Stringenz und Raffinesse ausgleichen, was der banale oder allzu fantastische Stoff an Konsistenz und literarischem Glanz vermissen lässt.

Ob Prokofjews Oper deshalb als revolutionär gelten kann, weil sie dieses traditionelle Missverhältnis souverän auf die Spitze treibt, mag offen bleiben. Jedenfalls gibt es kaum eine zweite Oper mit einer derart verrückten, geradezu skurrilen Handlung, die sich nur als Satire begreifen und genau so inszenieren lässt.

Das ist in Berlin glänzend gelungen. Der Regisseur Robert Carsen stellt das Stück mit seinem Team auf eine ebenso sparsam wie originell ausgestattete Bühne, auf der von den Anwälten des Publikums für Lyrik, Komödie oder Tragödie über die Märchenfiguren der Handlung bis zu den drei Berliner Opernhâusern als vom Verdursten bedrohten allegorischen Orangen am Ende alle gegen alle konkurrieren.

Das Publikum fühlt sich bestens unterhalten, zumal es das Orchester der Deutschen Oper unter der Stabführung von Steven Sloane in bestechender Form erlebt.

Die Verleihung des Deutschen Theaterpreises - DER FAUST 2010
Am 27. November 2010 im Aalto-Theater in Essen
Prof. Dr. Norbert Lammert
Präsident des Deutschen Bundestages
Platz der Republik 1
11011 Berlin



Deutscher Bühnenverein
Bundesverband der Theater und Orchester
Herrn Präsidenten Prof. Klaus Zehelein
Geschäftsführender Direktor
Herrn Rolf Bolwin
St.-Apern-Str. 17-21
50667 Köln



Offener Brief

Berlin, 29. November 2010

Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Herr Bolwin,

auf deutschen Bühnen habe ich schon manches gesehen. Vieles hat mich begeistert, manches verstört, einiges irritiert, häufiger inspiriert. Ich bin selten verärgert, nie wütend aus dem Theater gegangen.

Bis zum letzten Sonnabend und der Verleihung des Deutschen Theaterpreises "Faust" im Essener Aalto-Theater. Diese unglaubliche Selbstabdankung des Theaters und seiner Ansprüche zugunsten eines beliebigen Fernseh-Unterhaltungsformats, das für fast alles Zeit hat, nur nicht für authentisches Theater, macht mich fassungslos: Grußworte, Moderationen, Laudationes, Musikeinlagen, Slapsticks und eine Saalwette (!!) mit zwei renommierten Schauspielern als Showmaster, die für ihre mal geistreichen, mal albernen Auftritte vermutlich höhere Gagen erhalten haben, als für ihre bei weitem besseren, gehaltvolleren Theaterrollen. Und dazwischen: Nominierungen für Darsteller, Tänzer, Sänger, Regie, Bühnenbild, Choreographie, präsentiert in fernsehgerechten Häppchen von jeweils etwa 30 Sekunden aus der Konserve – ein Format, das die Kunst bis zur Unkenntlichkeit entstellt, während die allgegenwärtige Unterhaltung in der Verantwortung des Deutschen Bühnenvereins dem Theater ihre Lektionen erteilt.

Ich hätte wissen sollen, worauf ich mich eingelassen habe, als ich Ihrer ausdrücklichen Bitte zur Teilnahme und Mitwirkung an der Preisverleihung folgte. Schließlich habe ich schon die Premiere vor fünf Jahren als abschreckendes Beispiel empfunden und öffentlich kritisiert, dass sich das Theater nicht selbst zum Affen machen darf. Mit kaum entschuldbarer Treuherzigkeit habe ich mich auf Ihre Zusicherung verlassen, inzwischen sei das Konzept weiterentwickelt worden: "Unser Hauptanliegen ist, dass die nominierten Künstler ihre Arbeit positiv gewürdigt sehen, und dass die Zuschauer am Verleihungsabend die Breite und die Bedeutung unserer Theaterlandschaft erleben." Auf diesen fast selbstverständlichen Anspruch passte das Hollywood-Format wie die Faust aufs Auge. Die einzige für mich erkennbare Weiterentwicklung war die geradezu umwerfende Saalwette, mitten aus dem Theaterleben, in dem es kaum Aufregenderes gibt, als die unterschiedliche, von wirklichen Schauspielexperten deshalb leicht erkennbare Qualität von Brühwürstchen in den Theaterkantinen. Spätestens an dieser Stelle wird – hoffentlich – die Hälfte der "28 Zuschauer im ZDF-Theaterkanal", so Wolfram Koch als Conférencier, das Programm gewechselt haben. Schlimmer geht's nimmer. Oder doch: wetten, dass!

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Norbert Lammert

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